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Das Horneburger Amt der Tischler von 1798

 

von Dr. Hans-Georg Augustin

Herausgegeben: 1998
Quellen und kleine Beiträge Nr.: 11

 

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I. Der Antrag auf Errichtung des Amtes

Die Horneburger Tischlermeister Konrad Hinrich Oldhaver, Johann Siebe, Christian Ludwig Finck, Johann Nicolaus Willers, Friedrich Becker, Peter Christoph Finck, Ludwig Schmidt und Christian Wohlers baten am 16. April des Jahres 1798 die Horneburger Burgmänner um die Erlaubnis zur Errichtung eines Tischleramtes in Horneburg.1) In ihrem Gesuch bemerkten sie zu Anfang, daß sie ihren Antrag zur Errichtung eines ordentlichen Tischleramtes in dem Wissen stellten, daß die Burgmänner nicht nur das Beste für ihre Gerichtsuntertanen wünschten, sondern auch tätig zu ihrer Förderung und zur Förderung des Ansehens des Fleckens beitragen wollten. Die Antragsteller meinten, daß die Errichtung eines ordentlichen Amtes für ihren Beruf zu diesem Bestreben passe und nannten ihre Gründe.

Von ihnen seien, so begannen sie, nur drei in Buxtehuder oder Stader Ämtern eingeschrieben. Nur diese drei Meister durften Lehrlinge halten beziehungsweise vollkommen ausbilden. Die Folge dieses Sachverhaltes war nach ihren Ausführungen, daß bei den unzünftigen Meistern niemand das Tischlerhandwerk erlernen wollte. Diese Meister, so ist dem Gesuch weiter zu entnehmen, gerieten „daher oft in Verlegenheit und zwar umso mehr, als selbst ausgelernte Gesellen bei ihnen zu arbeiten Bedenken tragen.“

Wenn ein Lehrling bei einem unzünftigen Horneburger Meister lernte, mußte er bei einem Amte in Buxtehude oder Stade ausgeschrieben werden. Die Kosten der Ausschreibung „stiegen von Jahr zu Jahr und erschwerten einem jungen Menschen sein Fortkommen ungemein,“ wie die Tischlermeister betonten. Als Ausmaß der Kostensteigerung nannten sie für einen Zeitraum von wenigen Jahren eine Erhöhung von 15 auf 26-3O Reichsthaler. Dieses Geld fließe aus dem Orte ab, so klagten die Tischlermeister, ebenso wie jenes Geld, das die Zünftigen für ihre Gesellen an die auswärtige Lade, der sie angehörten, zahlen müßten.

Ausdrücklich verwiesen die antragstellenden Meister darauf, daß sie bei Gründung eines ordentlichen Amtes nicht nur die geschilderten eigenen Vorteile im Auge hätten, sondern durch die Amtsgründung auch in der Lage seien, kranke und reisende Gesellen besser zu unterstützen. Sie hofften als gute Tischlermeister bekannt zu sein, und erinnerten daran, daß Horneburg seiner guten Tischlerarbeit wegen bekannt sei.

Ihrem Antrag fügten die Meister einen Entwurf für das beantragte Amt bei und baten um Genehmigung sowie um Vorlage bei der Stader Regierung, falls es notwendig sein sollte.

Am 1. September des gleichen Jahres wurden sie und die Horneburger Burgmänner von der Provincialregierung in Stade unterrichtet, daß dem Ersuchen stattgegeben worden sei, weil nach Meinung der Tischlermeister und der Burgmänner die Errichtung eines zünftigen Amtes sowohl im Interesse des Tischlerhandwerks als auch des Fleckens liege.

Zur Frage der Mitgliedschaft Horneburger Tischler in auswärtigen Handwerksämtern hat mir Herr Helmut Stolberg vom Heimatverein Horneburg eine Fotokopie und Abschrift eines Meisterbriefes überlassen. Diese Urkunde bezeugt die Mitgliedschaft des Horneburger Tischlermeisters Matin Peter Corleis im Stader Tischleramt mit folgendem Wortlaut:

„Wir Jochen Rubin und Ernst Dragedorp, jetziger Zeit Geschworene Ältesten, wie auch Meister des Löblichen Tischler-Ambt allhier, in der Königl. Großbritanischen und Churdürstl. Braunschweig.-Lüneburgischen Stadt Stade. Thun kunt und Bezeugen hiermit für jedermänniglich, in sonderheit aber dem Ehrbaren und Kunsterfahrnen Älter-Leute und sämtliche Meister des Löblichen Tischler-Ambts, an was Orth und Stelle dieser Brief geschrieben und gelesen wird, wer maßen der Ehr- und Achtbahre Martin Peter Corleis, wohnhaft in Horneburg, außersehet, unsere Zumbts-Privilegien ihnen mit zu genießen laßen, welches wir den wegen seines guten und bekannten Wohlverhalten ihm nicht versagen, sondern vielmehr ertheilen wollen.

Solchergestalt dem Martin Peter Corleis unsere Ambts-Berechtigkeiten ertheilet werden. Als bey nur zu kommen, wenn wir unsere Ambts-Geschäfte verrichten, wie wir uns auch verobligieren, seine Gesellen nicht allein Kundschaften zu geben, sondern so er Gesellen benötigt, ihm auch nach der ordentlichen Wahl zu-Kommen laßen, nicht weniger wenn er Kinder oder Jungen die Tischler-Proseßion erlernet, wir diejenigen Ein- und Ausschreiben, und zu Ehrlichen Gesellen machen wollen, daß sie aller Ohrten unverhinderlich bey Ehrlichen Meistern Arbeiten können.

Zu mehrerer Versicherung haben wir unter diesen Brief nicht allein unsere Namen geschrieben, sondern auch das Ambts-Siegel drücken laßen. So geschehen Stade den 11ten Marty 1754.

Joachim Rubin Ältermann

Ernst Hinrich Dragedorp Ältermann „

(rotes Lacksiegel) Umschrift: Stader Ambts Siegel

(Abbildung im Innenkreis): Hobel – Winkel – Zirkel

Angemerkt sei noch, daß Karl Friedrich Wernet Handwerker vom Lande, die, wie Horneburger Tischlermeister, Mitglied einer Buxtehuder oder Stader Innung waren, „als die den städtischen Zünften inkorporierten Handwerksmeister auf dem Land“ bezeichnet. Nach seiner Darstellung gab es auf dem Lande daneben „das unzünftige Handwerk“ und „die in Gebietszünften organisierten Handwerksmeister auf dem Land.“ii Nach bislang gefundenen Materialien ist anzunehmen, daß die Mehrheit der Horneburger Handwerker zu den unzünftigen Handwerkern gehörten.

II. Die Amtsartikel

Die Amtssatzung bestand aus Artikeln folgenden Inhaltes.

  1. Das Tischleramt ist offen und nicht geschlossen. Jeder, der die Voraussetzungen erfüllte, kann aufgenommen werden.

  2. Wer Meister werden will, darf nicht genötigt werden, die Witwe oder Tochter eines Amtsmeisters zu heiraten.

  3. Der Bewerber, der in das Amt aufgenommen werden will, muß ein „untadelhaftes Meisterstück verfertigen.“ Es wird die Wahl gelassen zwischen

    • ) einem englischen Sprossenrahmen mit 16 Scheiben, oder

    • ) einem Dammbrette 3), oder

    • ) einem Kleiderschrank mit zwei Türen.

  4. Wer Meister werden will, soll höchstens mit 12 Reichstalern Kosten belastet werden.

  5. Einem Lehrling soll die Ein- und Ausschreibung nicht mehr als 15 Reichsthaler kosten.
    Anmerkung d. Verf.: Ein- und Ausschreibung bedeuten Beginn und Ende der Lehrzeit; eine Gesellenprüfung gab es damals noch nicht.

  6. Niemand darf im Flecken Horneburg das Tischlerhandwerk ausüben, „ehe und bevor er nicht Meister geworden und sich mit dem Tischleramte abgefunden.“
    Anmerkung d. Verf.: Das Tischleramt war also mit dem Zunftzwang ausgestattet.

  7. Unbeschadet des Artikels 6 ist es den Einwohnern des Fleckens erlaubt, „arbeiten zu lassen, wo sie wollen.“

  8. Das Amt verpflichtet sich zur genauen Beachtung aller Verordnungen, die das Handwerk betreffen. Die Regierung behält sich vor, die Artikel zu ändern oder zu ergänzen, wenn das notwendig ist. Solange die Mitglieder des Amtes sich ordentlich betragen, sollen ihre Rechte nach den Artikeln erhalten bleiben. Dem Burggericht in Horneburg wird aufgegeben, das Amt zu erhalten und die Mitglieder gegen Beeinträchtigungen zu schützen.

Karl Friedrich Wernet hat dargelegt, daß Zünfte nach ihrer Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte unter verschiedenen Bezeichnungen aufgetreten sind. Das Wort „Amt“ bedeutete im Mittelalter, daß die Stadtverwaltungen im Amt ein ihr zugehöriges Organ sahen und den Amtsvorsteher als städtischen Beamten betrachteten.4) Es kann hier nicht auf die Zunftgeschichte, die sich über Jahrhunderte erstreckt, in Einzelheiten eingegangen werden. Angemerkt sei jedoch, daß Wernet sie in vier Zeitabschnitte einteilt.5)

  • Die Zeit des Auf- und Ausbaues des Zunftwesens bis etwa 1300
  • Die Glanzzeit bis etwa 1500
  • Die Zeit des Abstiegs, gekennzeichnet durch erfreuliche
    Erscheinungen und höchst üblen Auswüchsen bis 1800
  • Der Todeskampf zwischen 1800 und 1870. „Die Zünfte erwiesen
    sich als unfähig, mit einer langsam auf sie zukommenden Situation fertig zu werden.“6)

Wilhelm Wernet berichtet, daß Versuche, Mißbräuche im Handwerk und seinem Zunftwesen abzuschaffen oder zu verhindern, während der dritten Periode oft unternommen wurden, zuletzt im Reichsabschied von 1731. Das Reich war jedoch schwach und ohne eigene Behörden, seine Gesetze mußten von den Ländern vollzogen werden.

Der Reichsabschied hatte unter Führung Preußens in einigen größeren Ländern teilweise Ergebnisse.7) Wilhelm Wernet ist gegenüber diesen Ergebnissen allerdings skeptisch und bemerkt: „Im Grundsatz bleibt es aber dabei, daß sich die staatlichen auf das Handwerk bezüglichen Reglementierungen im Negativen erschöpften, d.h. daß sie sich damit begnügten, lästige Auswüchse des Handwerkerlebens zu beseitigen oder zu mildern und in das Zunftleben eine gewisse Ordnung zu bringen. Von einem Ansatz zu schöpferischer Neu- und Ausgestaltung der wirtschaftlichen und organisatorischen Handwerksverhältnisse ist auf der großen Linie nirgends etwas zu spüren.“8)

Wie ist vor diesem Hintergrund das Statut des Horneburger Tischleramtes zu sehen?

Zweifellos sollten lästige Auswüchse des Zunftwesens verhindert werden. Dieses Bemühen ist einmal daran zu erkennen, daß es ein offenes Amt war, in das jeder, der die Voraussetzungen erfüllte, aufgenommen werden konnte. Die Mitglieder des Amtes konnten sich also nicht nach außen abschließen und den Zustrom weiterer Tischler, die ja Konkurrenten waren, verhindern. Besonders wird die Konstruktion des offenen Amtes auch in der Bestimmung sichtbar, daß niemand, der in das Amt aufgenommen werden will, genötigt werden darf, die Witwe oder Tochter eines Amtsmeisters zu heiraten. Der Erleichterung zur Ausübung des Tischlerhandwerks und des damit verbundenen Zuganges zum Markt dienen schließlich die Kostenbegrenzungen beim Meisterstück sowie bei der Ein- und Ausschreibung von Lehrlingen. Kostspielige Meisterstücke und hohe Gebühren waren oftmals Instrumente, um den Zugang zur Zunft und damit zum Beruf zu erschweren.9)

III. Bestrebungen nach einem geschlossenen Amt

Mit Bestätigung der Statuten des Horneburger Tischleramtes war die Frage des offenen Amtes für die Horneburger Tischler allerdings nicht erledigt. Im Jahre 1816, am 15. Oktober, erschienen vor dem Horneburger Gericht die Tischlermeister Conrad Oldhaber und Johann Siebe – sie werden vom Gericht als Obermeister der Zunft bezeichnet – und erstatteten eine Anzeige. Sie richtete sich gegen „den aus dem Preußischen hier angekommenen“ Friedrich Kaunitz, Sohn des Horneburger Küsters Kaunitz. Er hatte laut Angaben der beiden Tischlermeister Stühle angefertigt, die auf Befehl des Gerichtes eingezogen wurden, und sich zur Aufnahme in die Zunft als Meister gemeldet. Dieses Vorkommnis benutzten Oldhaber und Siebe, dem Gericht vorzutragen, daß es in Horneburg bereits 14 arbeitende Tischler gebe, die sich „in diesen schlechten Zeiten“ gegenseitig den Broterwerb schmälerten. Nach ihrer Meinung war die Zahl der damals in Horneburg vorhandenen Tischlermeister zu groß. Sie wünschten daher die Umwandlung des offenen Amtes in ein geschlossenes und die Begrenzung der Mitglieder der Zunft auf die schon genannte Zahl von 14 Meistern.

Das Burggericht in Horneburg schickte den Antrag der Zunft mit seiner Stellungnahme am 19. Oktober an die „Königlich Großbritannisch Hannoversche Provinzial Regierung“ in Stade. Es gab zu, daß nach den Zunftstatuten der Horneburger Tischler aus dem Jahre 1798 zwar jeder aufgenommen werden kann, meinte jedoch, daß die schlechten Zeiten und die Ortsverhältnisse einen Grund bieten, dem Gesuche stattzugeben („zu deferieren“, wie es wörtlich im Bericht heißt). Nach Darstellung des Gerichtes hatte Horneburg im Jahre 1817 einschließlich fünf adliger Güter, zum Teil ohne Haushalte, und mehreren kleinen anderen Anbauerstellen 190 Häuser und etwa 1300-1400 Einwohner. Der Druck der Zeiten, so das Gericht weiter, war auch in Horneburg zu spüren. Es nahm an, daß von den 220-230 Familien kaum 100 in der Lage seien, sich die notwendigen Möbel anfertigen zu lassen. Sie benutzten auch gewöhnlich die Nähe Hamburgs zu ihrem „Amblement“. Horneburger Tischler konnten nach Darstellung des Gerichtes auch nicht mit Aufträgen aus

benachbarten Orten rechnen, weil dem Orte die Städte Stade und Buxtehude benachbart seien und darüber hinaus das platte Land genügend mit Tischlern versorgt sei. Das Burggericht meinte, aus den dargelegten Gründen könne man ersehen, wie groß der Verdienst der Horneburger Tischler sei. Nur einige Tischler ernährten sich 1817 hauptsächlich von ihrer „Profession“, der größere Teil existiere nur mit Hilfe von etwas Ackerbau, erklärte das Gericht, und hielt es daher für wünschenswert, wenn die Zahl der in Horneburg arbeitenden Tischler vorerst „bis zu besseren Zeiten“ nicht vermehrt werde und fragte schließlich, „ob denn dem Gesuche nicht unter der vorerwähnten Einschränkung zu deferieren seyn dürfte?“

Die Provinzialregierung lehnte den Antrag auf Begrenzung der in Horneburg zulässigen Anzahl von arbeitenden Tischlermeistern am 25. Oktober 1816 ab. In ihrer Begründung verwies sie auf die Statuten von 1798, die ein offenes Amt festlegten, in das jeder, der das „Erforderliche zu leisten vermag“ aufgenommen werden kann und der auch die Vorteile dieser Konstruktion haben sollte. Genannt werden die zünftige Ausschreibung der Lehrlinge, das Halten von Gesellen durch die Meister, die Aufnahme in das Amt mit wenigeren Kosten. Keineswegs sei, so die Regierung, eine Begrenzung der Mitglieder beabsichtigt gewesen. Die Regierung erkannte auchauch keine Veränderung in den Horneburger Verhältnissen und verwies auf den Inhalt des burggerichtlichen Berichts, nach dem schon zur Zeit des Antrages die Zahl der Tischlermeister zu groß ist, um „von den Verdingten in dem Flecken Horneburg selbst subsistieren“ zu können, also auch von auswärtigen „Verdingten“ leben müßten.

Nach diesen Ausführungen stellte die Regierung allerdings die Aufnahme des „einen oder anderen“ in einigen besonderen Fällen in das pflichtgemäße Ermessen des Burggerichtes. Diese Fälle betreffen einmal den Bewerber, der nicht besonders qualifiziert ist oder „sonst in polizeilicher Hinsicht ungewünschte Zudringlichkeiten in Ansehung seiner Aufnahme in das Amt oder seiner Einrichtung in dem dortigen Flecken“ gezeigt hat. Zum anderen führte die Regierung den Fall an, daß sich die Zahl der „Tischlermeister unverhältnismäßig vermehren sollte, daß bei hinzutretendem Mangel an auswärtigen Verdingten deren Subsistenz als unmöglich betrachtet werden müßte.“ In diesen Fällen konnte das Burggericht die Aufnahme ganz oder eine zeitlang verweigern.

Die Regierung überließ es dem Burggericht, den Altmeistern diese Resolution zu eröffnen.

Anmerkung d. Verf.: Zweifellos hat die Provinzialregierung mit ihrer Entscheidung, das Burggericht könne in besonderen Fällen die Aufnahme verweigern, die Grundlage neuer Konflikte geschaffen. Wann ist jemand nicht besonders qualifiziert? oder Wie kann nachgewiesen werden, daß die Subsistenz bereits arbeitender Tischler durch die Konkurrenz eines neuen Bewerbers, der womöglich sehr tüchtig ist, unmöglich wird? Man kommt nicht um die Feststellung herum, daß die Stader Regierung nicht mit letzter Konsquenz an ihrer Entscheidung festhielt.

IV. Ein Antrag auf Ausnahmegenehmigung

Die Archivalien zur Horneburger Tischlerzunft berichten nicht nur von einem Antrag auf ihre Umwandlung in ein geschlossenes Amt, sondern auch vom Gegenteil. Es handelt sich um ein Gesuch, mit dem die Erlaubnis zur Ausübung des Tischlerhandwerks ohne Zugehörigkeit zur Zunft erbeten wird.

Der Antrag wurde am 13.3.1835 von dem Soldaten Anton Christian Friedrich Witz am gestellt. Er war gebürtiger Horneburger, der nach seiner Konfirmation eine Tischler- und Glaserlehre absolviert hatte. Zur Zeit seines Antrages war er seit drei Jahren in Harburg Soldat.

Im Urlaub vom Militär arbeitete Witz als Tagelöhner und Tischler. In Ausübung seiner Tischlerei hatte er sich im Hause seines Vetters, Schuhmacher Heinrich Witz, betätigt. Darüber beschwerten sich die Vorsteher des Tischleramtes,Siebe und Fink, beim Horneburger Gericht. Durch „Befehl“ untersagte das Gericht dem Soldaten Witz die weitere Ausübung des Tischlerhandwerks und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung eine Strafe von 5 Reichstalern an. Für die Ausfertigung des Befehls einschließlich einer Wegevergütung für die Beschwerdeführer mußte Witz 21 Gutegroschen entrichten, verdient hatte er nur 8.

Witz befürchtete bei Müßiggang einen Verlust seiner Kräfte. Da er keine andere Möglichkeit sah, sein Brot auf ehrlichem Wege zu verdienen, beantragte er die Zulassung zum Tischlerhandwerk, ohne der Zunft angehören zu müssen und begründete seinen Antrag wie folgt:

  • Der Vater, 72 Jahre alt und Häusling von Beruf, lebt vom Barbieren und hat noch zwei Kinder, einen Sohn von 17 Jahren und eine Tochter von 10 Jahren, zu versorgen. Beide Kinder sind noch in der Ausbildung.
  • Die Aufnahme in die Tischlerzunft ist für ihn zu teuer; er gibt die Kosten mit 100 Mariengroschen an.
  • In die Fremde kann er der Militärpflicht wegen nicht gehen.
  • Es fehlt Gelegenheit zur Glaserei und Tagelöhnerarbeit im Winter.

Die Landdrostei Stade, 1823 an die Stelle der Provinzialregierung getreten, erledigte den Antrag kurz und bündig. Sie beschied den Antragsteller, er solle sich nach einem Unterkommen als Geselle umsehen.

Anmerkung d. Verf.: Sicherlich hat die Landdrostei nach den Statuten der Zunft richtig entschieden. Die heutige Handwerksordnung kennt die Eintragung in die Handwerksrolle bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf dem Ausnahmewege. Der Antragsteller muß die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen und die Ablegung der Meisterprüfung muß für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten. Im übrigen stellt das Vorhaben des Witz eine Erscheinung dar, die heute als „Flucht in die Selbständigkeit“ bezeichnet wird. Man versucht, der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zu entgehen.

V. Ein Streitfall wegen unerlaubter Ausübung des Tischlerhandwerks

Die Landdrostei Stade teilte dem Horneburger Gericht am 2O.5.1836 mit, daß der Tischlergeselle Johann Böhning aus Horneburg bei ihr mündlich Reklamation gegen eine Polizeistrafe eingelegt habe. Diese Strafe war vom Horneburger Gericht gegen Böhning wegen des Vorwurfes, er habe unerlaubt das Tischlerhandwerk ausgeübt, verhängt worden. Als Begründung seiner Reklamation gab Böhning an, er habe niemals eingestanden, Tischlerarbeiten für andere ausgeführt zu haben und könne deswegen auch nicht bestraft werden.

Der von der Landdrostei erbetene Bericht wurde am 14.6.1836 erstattet. Ihm war ein Protokoll beigefügt, das in den Akten des Staatsarchivs nicht mehr enthalten ist. Das Gericht verwies jedoch in seinem Bericht auf den Inhalt des Protokolls, welches besagte, Böhning habe in Rüstje gearbeitet und für seine Verwandten Möbel (im Protokoll: Mobilien) angefertigt. Nach Auffassung des Gerichtes konnte beides nicht geduldet werden, es bestehe die Gefahr der Durchlöcherung der Amtsstatuten. Im übrigen ließ das Gericht keinen Zweifel daran, daß es den Fall als reine Justizsache betrachte.

Die Landdrostei gab sich mit der Antwort des Gerichtes nicht zufrieden und ersuchte bereits am 24.6. um weitere Auskünfte.

  • Sie wollte die Art und Weise wissen, in der sich das Gericht „Gewißheit“ darüber verschafft habe, daß die Arbeiten, die Böhning eingestanden habe, „zum feilen Verkauf“ bestimmt gewesen seien. Diese erhebliche Tatsache, so die Landdrostei, sei dem Eingeständnis Böhnings nicht zu entnehmen.
  • Böhning hatte, dem Schreiben der Landdrostei zufolge, eingestanden, für seinen Bruder eine Schafkrippe, für seinen Vater ein Sofa und drei dazugehörende Stühle angefertigt sowie dem Tischler Steinmetz in Stade einen Kasten überlassen zu haben, den er ursprünglich für sich gemacht hatte. Die Landdrostei sah darin nicht eine Arbeit mit dem Ziel des feilen Verkaufes. Sie ließ keinen Zweifel, daß nach ihrer Auffassung kein strafwürdiges Verhalten vorliege, wenn sich die Richtigkeit der Einlassung erweisen sollte.
  • Die Landdrostei war auch der Meinung, daß Arbeiten in Rüstje Böhning nicht zum Vorwurf gemacht werden könnten, da die Zunftartikel unzünftigen Tischlern nur das Arbeiten in Horneburg untersage.
  • Schließlich wies die Landdrostei das Gericht darauf hin, daß bei der Höhe der verhängten Strafe für Kosten nicht mehr als 6 Gutegroschen berechnet werden dürften; die Strafe betrug 1 Reichstaler.
  • Dieser Hinweis auf die anzuwendende Ziffer der Gebührenordnung (Sporteln=Taxe) ist ein Beleg dafür, daß die Landdrostei die Strafe im Gegensatz zum Gericht als Polizeistrafe ansah.10)

Das Gericht gab die landdrosteiliche Äußerung dem Horneburger Tischleramt zur Kenntnis. Vom Amt wurde mit einem „Anruf“ reagiert, verfaßt von Dr. juris Canzlei-Procurator Wyneken in Stade. Diesen Anruf leitete das Gericht der Landdrostei zu.

Eingangs meinte das Tischleramt, das Schreiben der Landdrostei könne den Anschein erwecken, daß sie wegen der Reklamation in den Lauf der Justiz eingreifen wolle. Das Amt befürchtete einen solchen Eingriff jedoch nicht, weil solches Handeln verfassungswidrig wäre. Das Tischleramt verlangte vom Burggericht Schutz (Gemeint ist der Schutz der angeblich von Böhning verletzten Amtsrechte) solange dessen Urteil nicht von einem Gerichtshof (in foro justitiae) „umgestoßen“ worden sei, oder der „Competenz=Conflict verfassungsmäßig entschieden“ sei.

Anmerkung d. Verf.: Mit dem Kompetenzkonflikt ist die Frage gemeint, ob die Landdrostei überhaupt in dieser Sache oder nicht vielmehr ein Gericht zuständig war.

Nach dieser Einleitung des Anrufes forderte das Amt Klarheit darüber, ob Böhning neben der Landdrostei auch ein höheres Gericht (forum justitiae superius) anrufen wolle, wie er bei der Urteilsverkündung des Horneburger Gerichtes offenbar geäußert hatte. Daher beantragte das Tischleramt beim Horneburger Gericht, es möge Böhning auffordern, binnen kurzer Frist das Anrufen des höheren Gerichtes zu beschleunigen. Diese Aufforderung sollte mit dem Hinweis versehen werden, daß ihre Nichtbeachtung die Rechtskraft des Horneburger Urteils nach sich ziehe und vollzogen werde. Böhning sollte dann auch die Kosten tragen.

Sodann meinte das Tischleramt, es sei in diesem Stadium eigentlich noch nicht der Zeitpunkt gekommen, sich weiter zum Schreiben der Landdrostei vom 24.6.1836 zu äußern. Andererseits befürchtete das Amt, die Stader Behörde könne tatsächlich eingreifen und entscheiden. Um dieses befürchtete Handeln von vornherein abzuwenden, machte das Amt weitere Ausführungen.

  • Das Amt vermißte einen Beweis seitens Böhnings, daß er die im Laufe des Verfahrens bekannt gewordenen Arbeiten ohne jegliche Vergütung geleistet habe, wobei nach Auffassung des Amtes auch empfangene Naturalien sowie Kost und Logis zur Vergütung rechneten. Böhning, so das Amt, habe die Unentgeltlichkeit nicht beweisen können und daher auch nicht geltend gemacht, sie sei vielmehr vorgeschützt und das Horneburger Gericht habe eine Prüfung auch nicht als seine
  • Pflicht betrachtet. Das Horneburger Gericht habe vielmehr, wie das Tischleramt meinte, eine allgemeine Regel als richtig vorausgesetzt, mämlich die alltägliche Erscheinung, daß kein Handwerker ohne Vergütung irgendeiner Art arbeite. Nach Meinung des Tischleramtes durfte Böhning nicht gegen Vergütung arbeiten, da er weder Meister sei noch als Geselle bei einem Meister arbeite und auch keinen Gewerbeschein besitze.
  • Arbeiten ohne Vergütung war Böhning nach Meinung des Amtes auch gar nicht möglich, schließlich müsse er seinen Lebensunterhalt bestreiten.
  • Nach dem Anruf des Tischleramtes an das Horneburger Gericht war es auch völlig ohne Belang, ob Böhning für Verwandte oder Fremde gearbeitet hatte. Das ergibt sich nach Meinung des Amtes aus der Sache und aus dem Recht.
  • Zu den Arbeiten des Böhning in Rüstje meinte das Amt, sie seien zulässig, wenn Böhning dort wohne. Das war jedoch nach Ausführungen des Amtes nicht der Fall. Böhning wohne in Horneburg, hieß es. Vom Tischleramt wurden die Amtsartikel dahingehend ausgelegt, daß ein Horneburger Einwohner das Tischlerhandwerk nur bei Amtszugehörigkeit ausüben durfte und zwar auch dann, wenn er in Orten arbeitete, in denen es keine Zunft gab. Für den Fall, daß Böhning anderer Meinung sei, führte das Amt aus, müsse er die Aufhebung des Urteils bei den höheren Zivilrichtern, nicht aber bei der höheren Verwaltungsbehörde, anstreben. Nach Auffassung der Horneburger Tischler handelte es sich nicht um eine geringe Wrogenstrafe sondern um gegenwärtiges und zukünftiges Recht (pro praesenti et futoro). Die Strafe wurde nach Meinung des Amtes nicht im öffentlichen Interesse von Amts wegen (ex officio) „sondern aufAntrag und Klage“ zur Wahrung der Rechte des Tischleramtes ausgesprochen. Daher, so nochmals das Amt, könne sie auch nur von einem höheren Zivilrichter aufgehoben werden.

Anmerkung d. Verf.: Unter Wrogen wurden Rügen verstanden, für die nach Anklage und Untersuchung eine Strafe verhängt wird. Auch Prüfungen von Maßen und Gewichten wurden als Wrogen bezeichnet. Früher eingerichtete Rügengerichte wurden im Laufe der Zeit zu Gerichten für Bagatellsachen und Polizeistrafen und hielten sich „teilweise bis in die zweite Hälfte des 19.Jhd.“11)

  • Das Horneburger Tischleramt befürchtete nicht, daß die Landdrostei den Lauf des Rechtes hemmen werde. Bei der „anerkannten Humanität und Billigkeit“ dieser Behörde vertraute das Amt darauf,“daß sie eher unsere zahlreichen, größten Theils höchst nothdürftig vom Tischlergewerke lebenden Familien, als einen einzelnen Menschen in seinem Herumtreiben und seinen Pfuschereien schützen werde.“
  • Für den Fall, daß sich das Tischleramt in seiner Meinung irre und die Landdrostei versuchen sollte, das Urteil aufzuheben, wurde beantragt, der Justiz ihren Lauf zu lassen. Die Landdrostei möge, so das Amt, die verfassungsmäßige Klärung veranlassen falls sie sich selbst und nicht die Justiz für zuständig halte.

Wie bereits gesagt, leitete das Gericht Horneburg den Anruf des Amtes an die Landdrostei weiter und zwar am 16.7.1836. Es sah aufgrund der Ausführungen des Tischleramtes keine Veranlassung, noch zu erklären, wie es sich Gewißheit darüber verschaffte, daß Böhning seine Arbeiten zum feilen Verkauf ausgeführt habe. Das Gericht gestand Böhning zu, für sich selbst nach Belieben arbeiten zu dürfen, nicht jedoch für andere, zu denen das Gericht auch die Verwandten rechnete. Dadurch werde den Tischlern Gewinn entzogen und die Strafe ausgelöst, wie das Gericht bemerkte.

Das Gericht wiederholte seine Auffassung, daß es sich um eine Rechtsfrage handele, danach habe es auch die Gebühren berechnet. Wenn Böhning, so das Gericht, das Tischlerhandwerk ohne Meisterprüfung und Gewerbeschein ausüben dürfe, beklage es die Innungsmitglieder und ihre zahlreichen Familien und bat nochmals, „der Sache in „via justitiae“ (auf dem Gerichtsweg) ihren Lauf zu lassen. Es bat also um eine gerichtliche und nicht um eine landdrosteiliche Entscheidung.

Abschrift des Anrufes und der Stellungnahme des Gerichts erhielt Böhning zur Kenntnis; er nahm dazu am 19.7.1836 gegenüber der Landdrostei Stellung:

  • Zunächst bemerkte er, daß er sehr wohl dargelegt habe, ohne Vergütung gearbeitet zu haben. Nach seinen Ausführungen hatte er schon im ersten Termin beim Horneburger Gericht vorgetragen, daß er vor 8 Jahren aus der Fremde nach Horneburg zur „Loosung“ gekommen sei. Er habe sich, so Böhning weiter, wegen schlechten Wetters 6 Wochen im Hause seines Vaters aufgehalten und für ihn auf dessen Bitte ein Sofa angefertigt. Nach seinen weiteren Einlassungen konnte er diese Bitte des Vaters nicht abschlagen, eine Vergütung habe er nicht bekommen und das benötigte Handwerkszeug „von einem Amtsgenossen der Tischlerzunft geliehen.“

Anmerkung d. Verf.: Die „Loosung“, deretwegen Böhning nach Horneburg kam, ist ein Vorgang aus dem Militärwesen. Im Jahre 1816 wurde im Königreich Hannover die Verfassung der Landwehr geregelt. Nach der ärztlichen Untersuchung wurde die Reihenfolge der Einberufungen mittels Nummern festgelegt; dieser Vorgang hieß „Loosung.“ Die Nummern durften von den Landwehrpflichtigen untereinander getauscht werden.12)

  • Böhning ging dann wieder in die Fremde und arbeitete in den Hauptstädten Deutschlands, um seine Kenntnisse „zu vervollkomnen und meinem Vaterlande einst nützlich zu werden.“ Nach 4 Jahren kehrte er nach Horneburg zurück, weil an vielen Orten die Cholera ausgebrochen war. Sehr bald wurde er vom „damaligen Herrn zu Rüstje“ gebeten, einige Arbeiten für ihn auszuführen. Er nahm an, habe aber nicht, so schrieb er, in Horneburg – wie vom Amt behauptet – gewohnt.
  • Anschließend hatte Böhning, wie er der Landdrostei weiter berichtete, 3 Jahre in Stade gearbeitet und für seinen Vater mit Genehmigung seines Meisters Steinmetz eine Kommode angefertigt. Steinmetz gab ihm das Holz. „Dieses“, so Böhning, „ist das Ganze, warum ich in Strafe genommen werden sollte.“
  • Nach seinem Aufenthalt in Stade kehrte Böhning nach Horneburg zurück. Er hielt sich gegen Bezahlung aus seinem Vermögen im Hause seines Vaters auf. Da er dem Tischleramte beitreten wollte, fertigte er sich einiges Handwerkszeug und Stühle an.
  • Sodann beklagte sich Böhning, daß die Horneburger Tischlermeister ihn nicht in Ruhe lassen konnten und ihn bei Gericht wegen unerlaubter Ausübung des Tischlerhandwerks denunzierten. Die Strafe fand er ungerecht, weil er nicht gegen die Privilegien verstoßen habe, auch habe er sich zur Aufnahme in das Amt gemeldet.
  • Im Verhalten des Amtes sah Böhning Schikanen. Er fühlte sich durch den Vorwurf der Herumtreiberei und Pfuscherei beleidigt und verwies darauf, daß weder sein verstorbener Vater noch seine Brüder und er selbst bislang gerichtlich belangt worden seien.
  • Böhning äußerte sodann die Vermutung, daß seine Gegner Angst vor seiner Tüchtigkeit als Tischler, seinem Fleiß und seiner Sparsamkeit sowie vor seiner Niederlassung als Tischler hätten. Sie fürchteten – mit anderen Worten – die Konkurrenz und suchten „Zuflucht zu entehrenden Beschuldigungen……… weil man recht gut weiß, daß man mir mit Wahrheiten nichts anhaben kann.“
  • Schließlich wies Böhning die Behauptung seiner Gegner zurück, daß er gegen Vergütung arbeiten müsse, da er sonst nicht  leben könne. Dazu trug er vor, daß er Vermögen habe und einen kleinen Holzhandel betreibe.

Anmerkung d. Verf.: In den Archivalien des Tischleramtes Horneburg findet sich tatsächlich die Anordnung des Horneburger Gerichtes vom 23.3.1836 auf Erteilung eines Gewerbescheines; sie lautet: „Dem Tischler Johann Böhnig hierselbst kann ein Gewerbeschein zur 1Oten Klasse zu 2 Rthlr 16 ggr erteilt werden.“

  • Am Ende seines Schriftsatzes bat Böhning die Landdrostei, die von ihm vorgetragenen Tatsachen bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.

Die Landdrostei ging in ihrer Antwort vom 24.7.1836 an das Horneburger Gericht kaum auf die von beiden Seiten vorgetragenen Sachverhalte ein, sondern legte den Schwerpunkt ihrer Ausführungen auf Rechtsfragen. Sie verwarf die gemeinsame Rechtsansicht von Gericht und Tischleramt. Diese gemeinsame Ansicht ging – so faßt die Behörde zusammen – dahin, daß erstens Gericht und Tischleramt meinten, es handele sich nicht nur um eine Wrogenstrafe, sondern es gehe um gegenwärtiges und zukünftiges Recht („ein Recht pro praesenti et futuro“) und daß zweitens die Strafe nicht im öffentlichen Interesse („ex officio“) ausgesprochen sei, sondern auf Antrag und Klage zum Schutze der Amtsrechte.

Dazu erklärte die Landdrostei, von ihr sei bislang nur die verhängte Strafe (gemeint ist wohl die Höhe) und deren Statthaftigkeit zum Gegenstand der Cognition gemacht worden. Sie gab ferner zu bedenken, daß die meisten Polizeistrafen den Schutz bestehender Rechte verfolgten und bei Anerkennung der burggerichtlichen Argumentation nur durch Gerichte geprüft werden könnten.

Falls das Horneburger Gericht auf seiner Meinung beharre, so die Landdrostei, wolle sie das Verfahren nach der Verordnung vom 14.Nov.1833 einleiten. Diese Verordnung regelte das Verfahren zur Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Justiz und Verwaltung.13) Die Grundlage dieser Verordnung ist § 156 des Hannoverschen Staatsgrundgesetzes vom 9.10.1833. Danach sollen Kompetenzstreitigkeiten, die zwischen Justiz und Verwaltung entstehen und über die eine Einigung zwischen diesen Institutionen nicht zu erzielen ist, von einer besonderen Section des Geheimratskollegium beraten und entschieden werden.14)

Hier enden die vorhandenen Akten; es ist nicht zu ersehen, wie die Rechtssache geendet hat. Auf der Eingabe von Böhning an das Horneburger Gericht findet sich nur noch ein Vermerk vom Dezember 1837 des Inhaltes, daß er Gewerbeschein und Quittungsbuch zurückgegeben habe.

Herrn Hinrich Oldhaber, Horneburg, verdanke ich den Hinweis auf das Kirchenbuch der Pfarrgemeinde des Fleckens. Nach seinen aus dem Kirchenbuch zusammengetragenen Unterlagen wurde Johann Böhning am 10.6.1808 geboren (S. 153 des Buches). Er heiratete am 26.4. 1840 Metta Catharina Duncker aus Selsingen (S.259 des Buches), die in ihrem 22. Lebensjahr am 17.1.1841 verstarb. Johann Böhning ging am 22.5.1842 eine zweite Ehe mit Margaretha Tum Forde aus Bargstedt ein.

VI. Abgrenzung zwischen Tischler und Zimmerer

Das Horneburger Tischleramt war nicht nur bemüht, die Existenz der Mitglieder durch Begrenzung seiner Mitgliederzahl zu sichern. Die Tischler gerieten auch in Gegensatz zu einem anderen holzverarbeitenden Handwerk, nämlich den Zimmerern. Das ergibt sich aus einem Bericht des Horneburger Gerichtes vom Juni 1835 an die Stader Landdrostei. Dieser Bericht befaßt sich mit einem Streit zwischen dem Horneburger Zimmermann Hahn und dem Tischleramt des Fleckens. Inhaltlich geht es um den „Entwurf eines Regulativs für Zimmerleute und Tischler in Horneburg“. Es geht um die Frage, welcher der beiden Berufe für die verschiedenen anfallenden Aufträge zuständig ist.

Anmerkung d. Verf.: Solche Regulative sind heute unter der Bezeichnung „Berufsbild“ bekannt und werden keineswegs für einzelne Gemeinden, Kreise oder Länder, sondern für die einzelnen Handwerke bundesweit vom Bundesminister für Wirtschaft nach Anhörung aller von der Sache her zu beteiligenden Institutionen in Kraft gesetzt.

Wenn auch die 13 Punkte umfassende Anlage des Berichtes in den Archivalien des Tischleramtes fehlt, lassen sich doch aus dem Bericht des Gerichtes einige Streitpunkte entnehmen. In seinem Bericht wies das Gericht zunächst darauf hin, daß sich weder aus dem Innungsbrief der Tischler noch aus den Akten der Innung erkennen lasse, „wie weit der eine und der andere gehen dürfe.“ Vor Abfassung seines Berichtes hatte sich das Gericht mündlich in Buxtehude nach den dortigen Verhältnissen erkundigt und die Auskunft erhalten, „daß auch dort Zank und Streit an der Tagesordnung sey.“ Zusätzlich fragte das Gericht in Stade an und erhielt die dort bestehende Regelung. Es vertrat jedoch die Meinung, die Stader Regelung sei in Horneburg nicht anwendbar. In Horneburg, so das Gericht, bestehe ein „Privilegium“ für die Tischler, nicht jedoch für die Zimmerleute (Das heißt: Es gab in Horneburg damals kein Zimmereramt. Der Verf.) und fuhr dann wörtlich fort: „Denn wenn sie auch, wie der Zimmermann Hahn, in einem auswärtigen Amte etwa in Stade das Meisterrecht gewonnen haben, so lassen sich die dort bestehenden Rechte doch nicht auf Horneburg anwenden.“ Hier seien, so das Gericht weiter, die Gebäude mehr „im Geschmack des platten Landes“ errichtet, in den Städten seien sie verziert.

Anmerkung d. Verf.: Das Gericht erwähnt die Stader Regelung. Aus Stade wird über Streitigkeiten zwischen Zimmerern und Tischlern schon aus dem 17. Jahrhundert berichtet.15) Im Jahre 1678 wurde dort zwischen den Ämtern der Tischler und Zimmerer ein Vergleich folgenden Inhaltes geschlossen:

  • Ein neues Haus soll von den Zimmerern errichtet werden.
    Weiter heißt es: „Große und auch weggemachten Zargen in den Kellern verfertigen die Zimmerleute.“
  • „Zargen und Fensterluchten oder was sonst angebracht und gehobelt wird“ sollen die Tischler zu ihrer Arbeit rechnen. Ihnen sind auch Wendeltreppen, Fenster, Pöste, Rahmen, Loßhölzer, Wasserleisten sowie „eingefaßte und an beiden Seiten gehobelte Türen usw.“ vorbehalten.

Es wird berichtet, daß die Zimmerleute diesen Vergleich nie richtig beachtet haben. Als im Jahre 1823 der Zimmermeister Fliedner für einen Buchdrucker eine neue Treppe und auch Schränke lieferte, mußte er auf Verlangen der Tischler die Arbeiten einstellen. Ein neues Regulativ erkannte den Treppenbau den Tischlern allein zu. Gegen diese Regelung klagte Fiedler im Jahre 1824, allerdings erfolglos. Dem Bauherrn wurde jedoch zukünftig gestattet, mit Genehmigung des Magistrates einem Zimmermeister den Treppenbau zu übertragen.

Nach allgemeiner Meinung des Horneburger Gerichtes mußte es Hahn unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse genügen, wenn er den „Stapel des Gebäudes“ (Anmerkung d.Verf.: Das ist das Gerippe, also Fachwerk und Dachstuhl) erstellt. Dazu solle ihm der Gebrauch des großen Hobels gestattet werden. Alle anderen inneren und äußeren Arbeiten, wie Treppen, Fenster und Türen sollten nach Vorschlag des Gerichtes den Tischlern zufallen.

Nach dieser allgemeinen Feststellung geht der Bericht auf die in einzelnen Punkten der Anlage aufgeführten Arbeiten ein. Auch wenn diese Anlage, wie bereits gesagt, bei den Archivalien nicht mehr vorhanden ist, läßt der Bericht zum Teil erkennen, welche Arbeiten außer der Errichtung des Stapels noch den Zimmerleuten zukommen sollten. Es werden die Wind- und Regenbretter, sowie der „Mühlen- und Schleußenbau ganz“ genannt, „mit Ausnahme der Mehlkasten, Rümpfe, und was damit in Verbindung steht.“

Der Verfasser des Berichts schloß nicht aus, daß der Eindruck erweckt werden könne, er wolle die Tischler bevorzugen. Seine Einlassung zu dieser möglichen Vermutung vermittelt ein Bild zur Lage der Horneburger Tischler und des Zimmermannes Hahn. Im Jahre 1835 arbeiteten in Horneburg 11 Tischlermeister, von denen 3-4 allenfalls Gesellen halten konnten. Die anderen hatten nach Meinung des Gerichtes eine „kümmerliche Subsistenz“ von den Arbeiten, „die der Zimmermann Hahn an sich zog.“ Diesen Menschen konnte nach Meinung des Gerichtes nur dadurch geholfen werden, daß Hahn „in seine Schranken zurück gewiesen wird.“

Für Hahn sah das Gericht in einer Beschränkung seiner geschäftlichen Tätigkeit keine Härte, weil er während des Sommers im „Schleußen- und Häuserbau“ 10-12 Gesellen und sogar im Winter noch 3-4 Gesellen beschäftigte. Unter diesen Beschäftigten befand sich ein naher Verwandter von Hahn. Dieser Verwandte war zugleich Tischler, und durch ihn hatte Hahn jene Arbeiten ausführen lassen, die den Zank und Streit mit den Tischlern auslösten. Nach Gerichtsmeinung waren die Arbeiten, die Hahn in Auftrag hatte, sehr umfangreich. Als Beweis verwies es auf „seine vor Augen liegende Zimmerstelle und das Holzlager.“ Hahn konnte anständig leben und war seit Jahren der einzige Zimmermann in Horneburg, so das Gericht.

Der Bericht des Horneburger Gerichts läßt auch Skepsis erkennen. Es schrieb nämlich, daß es beiden Parteien Gelegenheit gegeben habe, ihre wechselseitigen Ansprüche darzulegen. Keine Partei vermochte jedoch, so heißt es weiter, ihre Auffassung von der ihr zustehenden Befugnis mit Beispielen aus anderen Tischler- und Zimmererinnungen zu belegen, beide Parteien seien nicht imstande, „solides und passendes“ vorzutragen.

Schließlich faßte das Gericht seine Meinung zur Frage der Abgrenzung beider Gewerbe zusammen, indem es sich auf die Handwerkszeuge bezog. „Der Hauptgesichtspunkt,“ so schrieb es, „zur Scheidelinie für beide Gewerbe wird immer bleiben, daß dem Tischler diejenigen Arbeiten zukommen, welche mit der Handsäge, dem Meisel, dem Hobel und dem Leim, dem Zimmermann diejenigen verbleiben, welche mit der Axt, der großen Säge, und dem Stoßeisen angefertigt werden.“

Vom Prozessieren durch alle Instanzen wegen dieses Streites hielt das Horneburger Gericht nichts. Es meinte – sicherlich zu Recht -, daß ein Prozeß für beide Teile schädlich und daher zu versagen sei; das bisher Geschehene könne niedergeschlagen werden.

Anmerkung. d. Verf.: Obwohl das Gericht am Ende seines Berichtes die Auffassung vertritt, Hauptgesichtspunkt bei der Abgrenzung von Tischlern und Zimmerern müsse das für Arbeiten notwendige Werkzeug sein, räumt es einem anderen Gesichtspunkt breiten Raum ein. Es ist das Bestreben, den Horneburger Tischlern dadurch eine Existenz zu sichern, daß der einzige in Horneburg ansässige Zimmermeister, dem es offensichtlich gut ging, in seine Schranken verwiesen werden soll.

Wenn Hahn nach Auffassung des Gerichtes für Zimmerleute verbotene Arbeiten ausführte, hätte es ihm diese Arbeiten untersagen müssen. Erwägungen darüber, wie gut oder schlecht es dem einen oder anderen geht, dürfen dann keine Rolle spielen, wenigstens nicht aus heutiger Sicht. Zu bezweifeln ist auch, ob sich durch Beschränkungen für Hahn die Lage der Tischler wesentlich bessern würde, da das Gericht in seinem Bericht auch bemerkte, daß die Tischler durch die von Hahn ausgeführten Arbeiten nur eine kümmerliche Existenz hätten. Den Wunsch nach Existenzsicherung oder Bestandsschutz der Tischler ließ das Horneburger Gericht – wie bereits dargelegt – auch schon erkennen, als es der Provinzialregierung in Stade nach den Napoleonischen Kriegen die Frage vorlegte, ob denn nicht wenigstens „bis zu besseren Zeiten“ die Zahl der Amtsmitglieder begrenzt werden könne, wobei die Tischler, wie erinnerlich, eine dauernde Begrenzung wünschten. Was hier in Horneburg sichtbar wird, erinnert an das Wirken der Zünfte in viel früheren Zeiten in anderen Städten. Sie bemühten sich, den „Nahrungsspielraum“ ihrer Mitglieder u.a. durch Begrenzung des Zuganges und durch Abgrenzungen gegen andere Berufe zu sichern. Der Streit zwischen Horneburger Tischlern und Zimmerern war also nicht neu.16)

Die Landdrostei antwortete dem Horneburger Gericht am 2. Juli 1835. Sie erklärte zunächst, daß sie „dermalen“ keine allgemeinen und umfassenden Bestimmungen über den strittigen Gegenstand erlassen könne. Sie erinnerte sodann daran, daß hauptsächlich die Anfertigung gehobelter Türen das Streitobjekt sei. Deshalb ermächtigte sie das Gericht, dem Zimmermann Hahn zu bedeuten, keine Arbeiten auszuführen, „die dem Gildebriefe der Tischler zuwider laufen,“ es sei denn, er lasse sich in das Tischleramt aufnehmen. Ein solcher Schritt seitens Hahn erscheint der Landdrostei bei den Horneburger Verhältnissen angemessen.

Damit war die Angelegenheit für die Landdrostei offenbar erledigt. Sie erklärte nur noch, „daß wir einen Entschädigungsanspruch der Tischlergilde pro praeterito (Das heißt: für die Vergangenheit. Der Verf.) zu einer polizeilichen Cognition nicht geeignet finden.“ Sie folgte also der Empfehlung des Gerichtes auf Niederschlagung.

Soweit aus den Archivalien des Tischleramtes ersichtlich, war die Sache nicht erledigt. Am 14. Juni 1836 wies nämlich das Horneburger Gericht in der Justizsache Böhning die Landdrostei darauf hin, daß die Königliche Justizkanzlei die Klage der Tischler gegen den Zimmermann Hahn in der Appellationsinstanz angenommen habe. Darüber gibt es im Archiv der Samtgemeinde Horneburg Unterlagen, aus denen der Fortgang des Streites bis zu einem gewissen Grade entnommen werden kann.

Die Justizkanzlei (Justizkanzleien waren das Mittelgericht im Königreich Hannover. Der Verf.) erließ am 27.2.1836 ein Rescript an das Königliche Gericht Horneburg. Daraus ist zunächst zu entnehmen, daß sich die Landdrostei am 2.7.1835 äußerte und das Horneburger Gericht – gestützt auf diese Äußerung – einen Bescheid erließ. Dieser Bescheid enthielt für Hahn das Gebot, in Zukunft die Verarbeitung gehobelter Türen vollkommen zu unterlassen. Hahn akzeptierte dieses Gebot. Eine Einigung wegen der Verarbeitung gehobelter Stakete und Bettkisten kam zwischen Hahn und dem Tischleramt nicht zustande, auch nicht über den von den Tischlern geforderten Schadensersatz. Nach längeren Erörterungen rechtlicher Art verfügte die Justizkanzlei, daß die Tischler den Nachweis führen sollten, daß ihnen zum Zeitpunkt der Anfertigung der strittigen Arbeiten durch Hahn und vor Klageerhebung das ausschließliche Recht auf diese Leistungen zugestanden habe. Nach der Beweisführung sollte das Gericht entscheiden „was Rechtens.“

Soweit die Akten des Horneburger Archivs erkennen lassen, wurde im weiteren Laufe des Verfahrens dann das Oberappelationsgericht in Celle angerufen. Schließlich landete die Sache 1838 erneut beim Horneburger Gericht. Wie sie schließlich endete, kann nach bisher vorliegenden Unterlagen nicht gesagt werden.

Anmerkung d. Verf.: Das Problem der Abgrenzung der Handwerksberufe besteht auch heute noch und wurde durch die letzte Novellierung der Handwerksordnung, am 1.1.1994 in Kraft getreten, den Bedürfnissen der heutigen Zeit angepaßt. Die Änderungen betreffen folgende Sachverhalte:17)

  • Die neu eingeführte „Wirtschaftliche Ergänzung des eigenen Leistungsangebotes“ gestattet einem bereits in die Handwerksrolle eingetragenen Handwerker, Arbeiten eines anderen Handwerks auszuführen, wenn sie mit Arbeiten seines Handwerks fachlich und technisch verbunden sind (das war schon bisher gestattet) oder sie wirtschaftlich ergänzen (das ist neu). Voraussetzung ist, daß ein Auftrag für das eingetragene Handwerk vorliegt und die Arbeiten im anderen Handwerk nachgeordneten Charakter haben. Sie müssen quantitativ geringer als der Hauptauftrag sein.
  • Die neu eingeführte „Ausübungsberechtigung“ gibt einem bereits in die Handwerksrolle eingetragenen Handwerker Gelegenheit, auch zusätzlich ein anderes Handwerk auszuüben. Er muß den Nachweis führen, daß er für dieses Handwerk die notwendigen praktischen und theoretischen Kenntnisse besitzt.
  • Die Ausübungsberechtigung, die von den Regierungspräsidenten erteilt wird, ist nicht an das Vorliegen eines Auftrages im bisher ausgeübten Handwerk gebunden.
  • Ein in die Handwerksrolle eingetragener Handwerker wird mit einem weiteren Handwerk, das mit dem bisher eingetragen in wirtschaftlichem Zusammenhang steht, in die Rolle eingetragen, wenn er einen Betriebsleiter für dieses Handwerk einstellt. Der Betriebsleiter muß die Voraussetzungen zur Eintragung in die Handwerksrolle erfüllen.
  • Die Liste der verwandten Handwerke soll erweitert werden.

Im Streit zwischen dem Horneburger Tischleramt und dem Zimmermeister Hahn meinte das Horneburger Gericht, dem Zimmermeister Hahn gehe es offensichtlich gut und verwies dabei auf sein für jedermann sichtbares Warenlager, auf die große Zahl seiner Gesellen und darauf, daß Hahn selbst zur Winterszeit noch 4-5 Gesellen beschäftigen konnte (vgl.S.15).

Es mag sein, daß die Meinung des Gerichtes – gebildet nach dem Augenschein -im Jahre 1835 zutraf. Am Ende des Jahres 1836 hatte sich die Lage gravierend geändert. In einer Bekanntmachung vom 16. November dieses Jahres erklärte das Gericht, der Zimmermann Hahn habe dort angezeigt, „daß er sich außer Stande befinde, seine andringenden Gläubiger auf einmal zu befriedigen, daß er aber ansehnliche Vorschläge thun könne, weßwegen er um Verabladung seiner Gläubiger bitten wolle.“18)

Das Gericht lud daraufhin „Alle und Jede“ ein, die Ansprüche gegen Hahn persönlich oder an seine beiden Horneburger „Bürgerwesen erhoben, diese am 17. Dezember 1836 um 1O Uhr morgens in der „Gerichtsstube“ geltend zu machen. Die zu diesem Termin nicht erscheinenden Gläubiger wurden belehrt (in der Gerichtssprache: „verwarnt“), daß sie sich einem von der Mehrheit der erschienenen Gläubiger beschlossenen Zahlungsplan (Zahlungs=Regulativ) zu unterwerfen hätten. Für den Fall des Anschlußkonkurses (in der Gerichtssprache: „wenn aber auf Conkurs erkannt werden muß“) wurden die nicht erschienenen Gläubiger von der Vermögensmasse ausgeschlossen. Hahn selbst wurde jegliche Disposition über sein Vermögen untersagt. Schließlich wurde seinen Debitoren (Schuldnern) angedroht, daß sie als Strafe doppelte Zahlung leisten müßten, wenn sie an ihn oder auf seine Anweisung an andere zahlten.19)

Das Protokoll dieser Gläubigerversammlung ist erhalten und befindet sich im Archiv der Samtgemeinde Horneburg unter dort verwahrten Schriftstücken des Advokaten Hornbostel.20) Insgesamt sind 45 Positionen aufgeführt, aus denen sich Verbindlichkeiten des Zimmermeisters Hahn in Höhe von 3.2OO Talern ergeben. Es befinden sich darunter zum Beispiel Darlehnsforderungen, Verbindlichkeiten aus Holzlieferungen, nicht gezahlten Löhnen und nicht erfüllten Verträgen. Am Schlusse der Versammlung, an der Hahn einer Erkrankung wegen nicht teilnehmen konnte, wurde der Vergleichsvorschlag des Schuldners verlesen und der Einnehmer Bunnenberg erklärte namens des Obersten von Düring die Kündigung eines Darlehns. Das Darlehn belief sich auf „1.000 Thaler in Golde“. Geltend gemacht wurde auch eine Verzinsung von 4 1/2 Prozent seit Michaeli 1835 und Kosten. Die übrigen Schulden lauteten auf Courantmünze. Für den Fall des Konkurses wurde der Gerichtsschreiber Wittpenning zum Konkursverwalter (im Protokoll: curator bonorum) nominiert, „welcher das Officium acceptierte.“

Offenbar wurde dem Vergleichsvorschlag keine Chancen eingeräumt.

Bereits für den 1.3.1837 ordnete das Gericht nämlich an, daß beide zur Konkursmasse gehörenden „Bürgerstellen“ von Hahn und eine Wiese auf das „Meistgebot gebracht werden sollten“ (=Zwangsversteigerung„), wiederum auf der Gerichtsstube. Bei der ersten Stelle handelte es sich um ein Grundstück im „sogenannten Sande“ mit einem hinreichend großen Platz für das Zimmererhandwerk vor dem Wohnhaus; dieses Wohnhaus hatte drei Stuben. Zum Grundstück gehörten ferner „ein guter und ein schlechter Moortheil, auch ein Garten hinter dem Hause.“ Bei der zweiten Bürgerstelle handelte es sich um ein Wohnhaus auf der „langen Straße“ mit vier Stuben und einem Garten. Zu dieser zweiten Stelle gehörten ebenfalls“ ein guter und ein schlechter Moortheil, auch ein Haidetheil.“ Nach Gerichtsbeschreibung war das Haus vor nicht langer Zeit repariert und für eine Familie geeignet, „die anständig und bequem wohnen will.“ Vom Gericht wurde auch bemerkt, daß sich das Haus „zu jedem bürgerlichen Geschäftsbetriebe“ eigne. Beide Immobilien unterlagen, worauf das Gericht aufmerksam machte, dem „Meier Nexu“21); die Wiese war „frei“.

Anmerkung d. Verf.: Ein „Meier“ ist der Nutznießer eines Grundstückes, das im Obereigentum eines Gutsherren steht. Der Meier hatte gegenüber diesem Gutsherren Verpflichtungen, meistens Abgaben in Naturalien oder Geld oder Dienstleistungen. Ein Verkauf solcher Immobilien war an die Zustimmung des Obereigentümers gebunden. Das Bestehen solcher hier nur kurz geschilderten Bindungen bei den Grundstücken von Hahn wird seitens des Gerichtes mit der Bezeichnung „Meier Nexu“ ( nexus ist ein Wort aus dem Lateinischen und bedeutet: Verbindlichkeit) mitgeteilt. Das Gericht sagte nicht, welche einzelnen Verpflichtungen mit den Grundstücken von Hahn verknüpft waren. Über das Meierrecht, wie es z.B. in Bliedersdorf bestand, gibt die Chronik von Christian Fuhst und Gerhard Burfeind Auskunft.22)

Ein Meier hatte also eine andere Art von Eigentum, als wir es aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch des Jahres 19OO kennen. Der „Meier Nexu“, der bei den Grundstücken Hahn bestand, war in Horneburg auch keineswegs eine Ausnahme oder Besonderheit. H.D.A. Sonne schreibt im Jahre 183O über den Flecken Horneburg: “ Die Einwohner sind größtentheils Meier des Adels;…..“.23) Die Verpflichtungen nach dem Meierrecht konnten nach einer Verordnung aus dem Jahre 1831 abgelöst werden.24) Die Intelligenzblätter nach diesem Jahre enthalten wiederholt Bekanntmachungen über die in Horneburg erfolgten Ablösungen. Fuhst und Burfeind geben in ihrer Bliedersdorfer Chronik ein Beispiel für einen Ablösungsvertrag.25)

Die Bekanntmachung des Gerichtes über den Verkauf der Immobilien wurde im Intelligenzblatt mehrfach wiederholt, auch für weitere Termine.26)

Die Verwertung des Vermögens von Hahn umfaßte nicht nur sein Grundvermögen sondern auch seine persönliche Habe. Zum meistbietenden Verkauf dieses Vermögens setzte das Gericht für den 3. Juni 1837 einen Termin an und zwar morgens für das Hausgerät, wozu auch Betten gehörten, und nachmittags für Handwerkszeuge. Als Handwerkszeug wurden vom Gericht eine große Ramme mit Zubehör, ein großer und kleiner Holzwagen, eine Winde (sogenannte Daumenkraft), ein Kran, Schrauben und Ketten genannt.27)

Das Konkursverfahren Hahn dauerte Jahre. Der Distributionsbescheid (Verteilung der Masse) wurde vom Horneburger Gericht am 2. September 1842 eröffnet.28)

Aus den Verlautbarungen des Horneburger Gerichtes sind keine Gründe zu ersehen, warum der Zimmermeister Hahn in Konkurs geriet und warum er mit seinem Zahlungsplan scheiterte. Somit bleibt offen, ob das Verfahren private oder geschäftliche Ursachen hatte. Der Fall lehrt jedoch – das gilt oftmals auch für die Gegenwart – , wie fraglich es ist, nach einem äußeren Anschein über die wirtschaftliche Situation eines Betriebes oder seines Inhabers zu urteilen wie es das Gericht ein Jahr vor dem Konkursfall tat. Damals glaubte es, dem Zimmermann Hahn sei ein Verzicht auf Tischlerarbeiten zuzumuten (vgl.S.15). Diese Tischlerarbeiten können auch den Versuch Hahns bedeutet haben, mit ihrer Hilfe eine Unrentabilität der Zimmerei aufzufangen. Die Tischlerarbeiten könnten auch die Ursache des Konkurses gewesen sein, wenn sie zu Verlusten geführt haben, die entweder einen Gewinn der Zimmerei aufzehrten oder ihren Verlust noch vergrößerten.

VII. Absage an den Zunftbann

Die Bestimmung des Statuts, die Einwohner Horneburgs können „arbeiten lassen, wo sie wollen“, ist eine Absage an den Zunftbann. Dieser Bann bedeutet im städtischen Handwerk, daß nur der in der Stadt ansässige Handwerker in der Bannmeile verkaufen darf.29) Keineswegs war diese in dem Statut des Tischleramtes Horneburg enthaltene Erlaubnis oder Freiheit immer sicher, wie zum Beispiel ein Vorgang in Osnabrück lehrt. Als im Land Hannover französische Besatzung und Verwaltung herrschte, wurde die Gewerbefreiheit eingeführt (18O7). Nach den Befreiungskriegen kehrte Hannover zur Wiederherstellung der Zünfte zurück (1815).30) In Osnabrück war nach dieser Rückkehr zum Zunftwesen den Einwohnern erlaubt worden, Tischler-, Schmiede-, Glaser- und Böttcherwaren von auswärtigen Handwerkern auf Bestellung zu beziehen. Im Jahre 1828 beschwerten sich die Gilden dieser Handwerker über die Konkurrenz der Landhandwerker, ihre Nahrung sei beeinträchtigt. Das Königliche Kabinettsministerium in Hannover ermächtigte daraufhin die Landdrostei Osnabrück in einer Bekanntmachung vom 28.3.1828 folgendes zu verordnen: Tischler-, Schmiede-, Glaser- oder Böttcherwaren, gleich ob auf Bestellung oder zum feilen Verkauf gefertigt, dürfen nur zur Zeit der öffentlichen Jahrmärkte in die Stadt eingeführt werden. Zuwiderhandlungen werden mit Konfiskation der Waren bestraft; die Anordnung gilt bis auf weiteres.31) Der Vorgang ist ein Beispiel dafür, was mit Artikel 8 des Statuts des Horneburger Tischleramtes gemeint sein könnte, wenn sich die Regierung in Stade vorbehält, in die Statuten einzugreifen, sobald sie es für notwendig hält.

Anmerkung d. Verf. Aus heutiger Sicht ist es ein Eingriff in die Freiheit des Konsums. Offensichtlich hatte die Wettbewerbslehre von Adam Smith, dem Begründer der Volkswirtschaftslehre, aus dem Jahre 1776 noch keine vollen Auswirkungen im Königreich Hannover des Jahres 1828 gehabt. Die Nachfrage konnte offenbar lokalisiert werden.

Im Jahre 1816 ließ sich die Stader Provinzialregierung, wie der Fall Kaunitz zeigt, allerdings nicht zu einer Einschränkung der Einkaufs- und Bestellmöglichkeiten von Tischlerwaren seitens der Horneburger Einwohner herbei und lehnte auch eine Begrenzung des Angebotes durch Beschränkung der Zahl der Amtsmitglieder ab.

VIII. Neue Bestimmungen über Meister- und Gesellenprüfungen

Positiv zu bewerten ist sicherlich die Bestimmung des Statuts, daß als Voraussetzung für die Ausübung des Tischlerhandwerks die Anfertigung eines Meisterstückes angeordnet wird. Die Statuten des Tischleramtes legen fest, was als Meisterstück zugelassen ist. Am 3. März des Jahres 1839 wurde darüber von der Landdrostei Stade in Form einer Bekanntmachung für 27 Handwerksberufe eine obrigkeitliche Bestimmung getroffen.32) Die Bekanntmachung bedeutete zweifellos auch eine seitens der Regierung vorbehaltene Änderung der Statuten. Im Einvernehmen mit dem Innenministerium in Hannover bestimmte sie als Meisterstück „angehender zunftmäßiger Handwerksmeister in Unserem Verwaltungs=Bezirke“ für die Tischler entweder

  • die Anfertigung eines modernen Sekretärs, oder
  • die Anfertigung eines Kleiderschrankes mit zwei Türen

Die Landdrostei fügt hinzu, daß es bei der Anfertigung eines einfacheren Stückes verbleiben könne, wenn das bei einer Zunft in einem Flecken bislang üblich war.

Auch diese Bekanntmachung will im übrigen Auswüchse des Zunftwesens beseitigen. Sie bekräftigte erstens das Verbot der Bewirtung auf Kosten des angehenden Meisters. Das war früher bei einigen Gilden gefordert. Zunftmeister, die sich bewirten lassen, sollen eine Strafe von 10 Reichstalern zahlen. Zweitens untersagt die Bekanntmachung, Strafen für Mängel, die bei der Prüfung des Meisterstückes festgestellt wurden, zu verhängen.

Unter dem gleichen Datum veröffentlichte die Landdrostei Stade eine weitere Bekanntmachung, die das Lehrlingswesen betraf.33) Wiederum im Einvernehmen mit dem Innenministerium wurde bestimmt, daß für die Lossprache eines zünftigen Handwerkslehrlings die Anfertigung eines Probestückes Voraussetzung sei. Für das Tischlerhandwerk wurde die Anfertigung

  • einer zusammengesetzten Stubentür, oder
  • eines Fensterrahmens mit Sprossen, oder
  • einer furnierten Commode

vorgeschrieben; die Bekanntmachung erfaßte ebenfalls 27 Handwerksberufe.

Von dieser im Gegensatz zu heutiger Zeit auf den praktischen Teil beschränkten Gesellenprüfung konnte kein Lehrling – auch nicht der Sohn eines Meisters – befreit werden. Das für das Probestück notwendige Material mußte der Lehrherr dem Lehrling liefern oder verschaffen, wenn der Besteller des Probestückes das Material lieferte. Der Lehrherr hatte auch das notwendige Handwerkszeug zu stellen und für die notwendige Handreichung zu sorgen.

In der Regel mußte das Probestück bei einem Vorsteher der Zunft oder einem Zunftmeister gefertigt werden; dieser Zunftmeister durfte nicht der Lehrherr sein. Nur in Ausnahmefällen durfte die Anfertigung beim Lehrherrn erfolgen, für die Aufsicht mußte dann ein anderer Meister herangezogen werden.

Der Obrigkeit oder dem Amtspatron wurde aufgegeben, den Prüfmeister zu bestellen; es konnte nur ein am Sitz der Zunft wohnhafter Meister sein.

Das Probestück mußte von den Vorstehern der Zunft oder von mindestens drei Meistern, die von der Obrigkeit oder dem Amtspatron dazu aufgefordert wurden, geprüft werden. Es mußte ein Deputierter der Obrigkeit anwesend sein. Auch der Lehrherr durfte zugegen sein, jedoch nicht bei der Bewertung des Stückes mitstimmen. Dem Lehrling durften weder aus der Anfertigung der Gesellenarbeit noch aus der Prüfung Kosten entstehen.

Bei Nichtbestehen der Prüfung mußte der Lehrling seine Lehre beim Lehrherrn fortsetzen. Das mußte durch den Lehrherrn unentgeltlich erfolgen. Mit Zustimmung der Obrigkeit und der Zunftvorsteher konnte der Lehrling auch zu einem anderen Meister in die Lehre gegeben werden, wenn zum Beispiel der bisherige Lehrherr die Ausbildung vernachlässigt hatte.

Zwischen Nichtbestehen der Prüfung und einer erneuten Zulassung des Lehrlings mußten mindestens 6 Monate liegen.

Die Dauer der Lehrzeit wurde in der Bekanntmachung nicht geregelt.

Anmerkung d. Verf.: Viele der zitierten Bestimmungen des dargestellten Prüfungsververfahrens sind heute selbstverständlich. In damaliger Zeit bedeuteten sie eine große Neuerung und vor allem auch einen Fortschritt, weil der Abschluß der Lehre in einer Prüfung durch ausreichende handwerkliche Fähigkeiten nachgewiesen werden mußte. In den Jahrhunderten vorher war das anders, Gesellenprüfung und Gesellenstück waren unbekannt. „Dem Lehrmeister“, so Wilhelm Wernet, „oblag die volle Verantwortung dafür, daß er seinen Lehrling erst dann bei den Zunftältesten zur Freigabe meldete,wenn er das Lehrziel erreicht hatte.“34) Die Lehrzeit schwankte zwischen drei und sieben Jahren.35)

IX. Unzulässige Freisprechungen von Lehrlingen

Es ist anzunehmen, daß mit Erlaß einer Prüfungsordnung, die eine Ergänzung der Amtssatzung bedeutete, die Frage des ordnungsmäßigen Lehrabschlusses gelöst worden sei. Dieses Ziel wurde mit der Bekanntmachung der Landdrostei in Horneburg zunächst nicht erreicht. Vielmehr bedurfte es einer Reihe von Jahren, ehe die vorgeschriebene Prüfung in der Tischlerzunft des Fleckens Eingang fand. Dazu folgender Fall:

Nach einem Bericht des Magistrates der Stadt Stade vom 1. Mai 1848 an die Landdrostei Stade weigerten sich die Stader Schmiede, von ihren Lehrlingen vor Aushändigung des Lehrbriefes ein Probestück anfertigen zu lassen. Sie beriefen sich auf den zur Horneburger Zunft gehörenden Stader Tischlermeister Plöger, der seinen Lehrling Borchers ohne Anfertigung eines Probestückes in der Horneburger Zunft ausschreiben ließ.

Borchers hatte sich am Tag vorher beim Stader Magistrat gemeldet und um die Ausstellung eines Wanderbuches gebeten. Er zeigte seinen Lehrbrief der Horneburger Tischlerzunft und erklärte auf Nachfrage, daß er in Horneburg ohne Probestück ausgeschrieben worden sei. Dieses Probestück wurde von der Horneburger Zunft, so Borchers, nicht verlangt. Sie hatte sich vielmehr mit Plögers Versicherung des Vorliegens hinlänglicher Fähigkeiten begnügt. Plöger bestätigte die Angaben von Borchers und fügte hinzu, daß seine Lehrlinge vor der Ausschreibung in Horneburg niemals ein Probestück anfertigen mußten. Nach seiner weiteren Darstellung wurde dieses Verfahren auch bei Lehrlingen Bremervörder Meister, die zur Horneburger Tischlerzunft gehörten, angewendet.

Nach diesen Aussagen war für den Stader Magistrat erwiesen, daß die Horneburger Tischlerzunft den Lehrabschluß Borchers in der Weise, wie sie vor Erlaß der landdrosteilichen Bekanntmachung galt, gehandhabt hatte.

Die Polizeidirektion in Stade verweigerte daher die von Borchers beantragte Ausstellung eines Wanderbuches mit der Begründung, der ausgestellte Lehrbrief sei nicht gemäß gesetzlicher Bestimmungen erworben.

In seinem Bericht an die Stader Landdrostei bezeichnete es der Magistrat als hart, Borchers für Ordnungswidrigkeiten der Horneburger Tischlerzunft mit der Verweigerung eines Wanderbuches büßen zu lassen und stellte die Frage, ob es nicht trotz des Verstoßes des Horneburger Tischleramtes gegen die Prüfungsordnung ausgefertigt werden könne. Die Landdrostei sollte auch, nach Anregung des Magistrats, dafür sorgen, daß in Horneburg die gesetzlichen Bestimmungen beachtet werden, damit sich Stader Handwerker nicht mit Horneburger Versäumnissen rechtfertigen konnten.

Noch am gleichen Tage schrieb die Landdrostei Stade an das Gericht Horneburg. Es wurde beauftragt, unverzüglich darauf zu achten (Im Text: zu halten), daß „fortan“ die Bestimmungen der Bekanntmachung vom 3.3.1839 „stets gehörig befolgt werden“. Das Gericht sollte entsprechende Verfügungen treffen. Neben dieser Anweisung wurde das Gericht zur Berichterstattung nach vorheriger Vernehmung der Zunftvorsteher über folgende Punkte aufgefordert:

  • Das Gericht soll erklären, warum und in welchem Umfang die Bestimmungen von 1839 in Horneburg bisher nicht beachtet (Im Text:hintangesetzt) wurden.
  • Es soll sich gutachtlich zur „Ahndung“ äußern.
  • Schließlich wird das Gericht um eine Äußerung darüber gebeten, was mit den ohne Prüfung losgesprochenen Lehrlingen geschehen sollte. Der Stellungnahme ist ein namentliches Verzeichnis der Lehrlinge beizufügen.

Die Landdrostei erwartete den Bericht baldigst.

Bereits am 5. Mai berichtete das Horneburger Gericht nach Vernehmung der Zunftvosteher Fink und Schröder am 3.5. an die Landdrostei und gab folgende Erklärung ab:

  • Die Anhörung hat ergeben, daß seit 1839 Lehrlinge ohne vorherige Anfertigung eines Probestückes ausgeschrieben wurden und den Lehrbrief erhielten. Aus einem dem Bericht beigefügten Verzeichnis – von der Tischlerzunft aufgestellt – ergab sich für den Zeitraum 1839-1848 eine Zahl von 18 betroffenen Lehrlingen, von denen 8 von Meistern aus Stade und 7 von Meistern aus Bremervörde zur Ausschreibung gemeldet wurden.
  • Gegenüber dem Gericht behauptete die Zunft, daß ihr die Bekanntmachung vom 3.3.1839 nicht eröffnet worden sei. Nach Ausführungen des Gerichtes ist darüber in den Akten auch nichts verzeichnet. Das Gericht ließ es daher dahingestellt, ob die Behauptung der Zunft stimmt. Unmöglich erschien das Vorbringen der Zunft nach Meinung des Gerichtes unter Hinweis auf andere, wohl bekannte, aber in seiner Erwiderung nicht näher bezeichnete Vorgänge, nicht; es regte daher an, die Ordnungswidrigkeit der Zunft nicht zu ahnden.
  • Bei strenger Betrachtung müssen nach Gerichtsmeinung der Stader Borchers und alle anderen Gesellen das Probestück nachliefern. Es bat jedoch die Landdrostei, davon abzusehen und teilte somit die Meinung des Stader Magistrates.
  • Seitens des Gerichtes wurde gegenüber dem Tischleramt nachdrücklich auf die zukünftige und strikte Einhaltung der landdrosteilichen Bekanntmachung bestanden und bei Zuwiderhandlung strenge Strafen angedroht.
  • Zur Frage, warum der Horneburger Zunft Meister aus anderen Orten angehören, erklärten die Vorsteher Fink und Schröder bei ihrer Vernehmung, daß keine Meister aus anderen Orten aufgenommen würden. Nach ihrer Darlegung ist Stade die einzige Ausnahme, zur Aufnahme Stader Meister sei die Zunft freilich berechtigt. Sie erklärte dazu, daß sich in Stade 4 sogenannte Freimeister niederlassen durften, zwei mit Genehmigung der Landdrostei, zwei mit Erlaubniß des Magistrates. Nach Aussagen der Zunftvorsteher durften sich Freimeister nach Belieben bei jeder Zunft ohne Meisterstück einschreiben lassen. Was es mit Freimeistern im übrigen für eine Bewandnis habe, konnte das Gericht nicht sagen.

Bereits am 7. Mai 1848 entschied die Landdrostei. Sie will es nach Lage der Sache bei der erfolgten Lossprache des Lehrlings Borchers belassen. Seitens des Magistrates konnte ihm, wenn nicht andere Bedenken entgegenstehen, ein Wanderbuch erteilt werden. Was die Aufnahme Stader Freimeister in Zünften an anderen Orten betraf, erbat die Landdrostei einen „erläuternden“ und „gutachtlichen Bericht“ des Magistrates.

X. Kundschaft, Wanderbuch, Freimeister

Dem Gesellen Borchers konnte also ein Wanderbuch erteilt werden. Das Wanderbuch löste zu Beginn des 19. Jahrhunderts die „Kundschaft“ ab. Die „Kundschaft“ ist eine berufliche Legitimation, die einen wandernden Gesellen als „zünftig“ ausweist.36) Karl Friedrich Wernet erblickt im Ersatz der Kundschaft durch ein Wanderbuch „eines der vielen Zeichen des Wandels in der gesellschaftlichen Wertung des Handwerks“37) und meint damit die Erscheinung, daß die Zünfte ihre Privilegien verloren. Während die Kundschaft von den Zünften erteilt wurde, lag die Ausstellung des Wanderbuches in den Händen staatlicher Behörden.

Die Kundschaft wurde 1732 durch die Kaiserliche und Reichskonstitution eingeführt. Sie bestimmte im Paragraphen 2, daß kein wandernder Geselle in einer Zunft Arbeit aufnehmen durfte, wenn er keine Kundschaft bei sich hatte; sie gewann somit neben dem Lehrbrief eine große Bedeutung.38) Zu vergleichen ist sie vielleicht- mit allem Vorbehalt – mit heutigen Zeugnissen. Es wird aus Stade berichtet, daß Innungen weiterhin Lehrbriefe und Kundschaften ausgaben und als rechtschaffenen Zimmergesellen zum Beispiel nur diejenigen ansahen, die Lehrbrief und Kundschaft vorlegten.39)

Das Königreich Hannover regelte die Ausstellung des Wanderbuches durch Verordnung vom 9. Mai 1826 und zwar im Paragraphen 10.40) Er bestimmte für inländische Handwerksgesellen, daß sie ein Wanderbuch mit sich führen müssen, das den Paß ersetzt und von der Polizeibehörde ausgestellt wird. Für ausländische Handwerksgesellen, das heißt, auch aus anderen deutschen Ländern, wird in der Vorschrift das Anerkennungsverfahren ihrer Wanderbücher geregelt, auch die Ausstellung eines Buches für den Fall, daß sie ein solches nicht haben. Schließlich wird die Durchreise ausländischer Gesellen durch das Königreich geregelt.

Das staatliche Bestreben, die Wanderschaft genau zu beobachten und wohl auch aus politischen Gründen zu kontrollieren, kommt schließlich in einer weiteren Bestimmung des Paragraphen 10 zum Ausdruck. Sie besagt: In- und ausländische Gesellen „müssen an allen Orten, wo sie sich zweimal 24 Stunden aufhalten, ihre Reisepapiere von der Orts=Polizei=Behörde visieren lassen“. Wenn ein Geselle auf seiner Wanderschaft in einem Orte Arbeit aufnahm, mußte er seine Reisepapiere bei der Polizeibehörde hinterlegen.

Damit nicht genug der Regelungen. Am gleichen Tage, nämlich am 9. Mai 1826, erließ das Königreich Hannover eine Verordnung über die Behandlung von Vagabunden und verdächtigen Personen.41) Paragraph 4 betrifft arbeitslose Gesellen, die durch ihre Reisepapiere nicht nachweisen können, wo sie in den letzten acht Wochen gearbeitet und auch keine Bescheinigung darüber haben, daß sie sich vergeblich um Arbeit bemühten. Diese Handwerker sollen in ihre Heimatorte zurückgewiesen werden. Kommen sie dieser Anweisung nicht nach, sind sie als Landstreicher zu bestrafen.

Bei Freimeistern, die vom Horneburger Tischleramt erwähnt wurden, handelt es sich um selbständige Handwerker, die außerhalb der Zunft arbeiten dürfen (es gibt auch die Bezeichnungen: Gnadenmeister, Hof- und Soldatenhandwerker, Emigrantenhandwerker). Sie erlangten ihre Rechte durch die Territorialherren, die im Merkantilismus die Privilegien der Zünfte brechen wollten. Zünfte gehören zur Stadt- und nicht zur Raumwirtschaft.42)


Literaturverzeichnis

  1. Niedersächsisches Staatsarchiv Stade: Rep: 😯 G Bd.I Tit 72 No.3

  2. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichtliche Perspektiven Forschungsberichte aus dem Handwerk Band 10 Münster.Westfalen 1963 S.135

  3. Mit „Dammbrett“ ist ein Brett für das Damespiel gemeint.
    Diese Auskunft verdanke ich Herrn Dr. Meyer vom Landschaftsverband Stade.

  4. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichtliche Perspektiven a.a.O. S.49

  5. Ebenda S.110

  6. Ebenda

  7. Wernet, Wilhelm: Kurzgefaßte Geschichte des Handwerks in Deutschland 2. erweiterte Auflage Dortmund 1956 S.127

  8. Ebenda

  9. Ebenda S.113

  10. Sammlung der Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover vom Jahre 1834 I. Abtheilung No. 47.
    vom 27. December 1834: (64.) Gesetz, die Abänderung der unter dem 5ten October 1827 für die Untergerichte erlassenen Sporteln=Taxe, so wie die Beschränkung der bei denselben zu verhandelnden geringeren Schuldsachen betreffend. vom 13ten December 1834 Hannover 1834 Ziff. 155 S.406-407 Künftig zitiert als: Gesetzessammlung Hannover….

  11. Haberterm, Wallach: Hilfwörterbuch für Historiker 2 Mittelalter und Neuzeit Zweiter Teil L-Z 7. Auflage Tübingen1987 S.542-543

  12. Oberschelp, Heinrich: Niedersachsen 1760-1820 Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur im Land Hannover und Nachbargebieten Band 1 Hildesheim 1982 S.372

  13. Gesetzessammlung Hannover 1833 I.Abtheilung No.31 vom 30. November 1833 (42.) Verordnung, betreffend die Bestellung einer Section des Königlichen Geheimraths=Collegii zur Entscheidung von Competenz=Conflicten zwischen Justiz= und Verwaltungs=Behörden vom 14. November 1833 a.a.O. S.385-387

  14. Ebenda I. Abtheilung (29.) Grundgesetz des Königreichs S.286-330

  15. Freie Baugewerks=Innung Bauhütte zu Stade Hrsg: Festschrift zur Feier des 25Ojähr. Bestehens der Freien Baugewerks=Innung Bauhütte zu Stade Stade 1913 S.10
    Künftig zitiert als: Festschrift der Freien Baugewerks=Innung Stade a.a.O.

  16. Einzelheiten bei: Wernet, Wilhelm: Kurzgefaßte Geschichte des Handwerks in Deutschland a.a.O. S.70 ff.

  17. Zentralverband des Deutschen Handwerks: Die Novelle zur Handwerksordnung`94 Ein Leitfaden für den handwerklichen Unternehmer Bergisch Gladbach 1994 S.7-13

  18. Intelligenzblatt 1836 Stade S.775

  19. Ebenda

  20. Archiv der Samtgemeinde Horneburg: H. 4.1.1.
    Für die Überlassung einer Kopie bin ich Herrn Allenberg, Samtgemeinde Horneburg, zu Dank verpflichtet

  21. Intelligenzblatt 1837 a.a.O. S.73

  22. Fuhst, Christian u. Burfeind Gerhard: Bliedersdorf wie es wurde und wie es ist Bliedersdorf 1988 S.53

  23. Sonne, H.D.A. Beschreibung des Königreichs Hannover Viertes Buch. Spezielle Chorographie München 1830 S.288

  24. Sammlung der Gesetze Hannover 1831 I. Abtheilung (55) Verordnung über die Ablösung der grund= und gutsherrlichen Lasten, und Regulierung der bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze vom 10. November 1831 S. 46 ff.

  25. Fuhst, Christian u. Burfeind, Gerhard: Bliedersdorf wie es wurde und wie es ist a.a.O. S.197-199

  26. Ebenda S. 80, 98, 155, 175, 260, 273

  27. Intelligenzblatt 1837 a.a.O.S.360

  28. Intelligenzblatt 1842 a.a.O. S.573

  29. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichtliche Perspektiven a.a.O. S.56

  30. Bechtel, Heinrich: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands Im 19. und 20. Jahrhundert Mit 10 Karten und 65 Abbildungen München1965 S.216

  31. Sammlung der Gesetze Hannover 1828 III. Abtheilung No.3 vom 16. April 1828 (Es ist die Bekanntmachung No.37 in AbtheilungIII)

  32. Sammlung der Gesetze Hannover 1839 III . Abtheilung No.3: (11.) Bekanntmachung der Königlichen Landdrostei zu Stade, die Meisterstücke der Handwerker betreffend S. 12-15

  33. Ebenda: (12.) Bekanntmachung der Königlichen Landdrostei zu Stade, die Handwerkslehrlinge betreffend S.15-19

  34. Wernet, Wilhelm: Kurzgefaßte Geschichte des Handwerks in Deutschland a.a.O. S.81

  35. Ebenda S.8O

  36. Ebenda S.82-83

  37. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichte als Forschungsgegenstand 1. Teil Forschungsberichte aus dem Handwerk Band 4 Münster Westfalen S.153

  38. Festschrift der Freien Baugewerks=Innung Stade a.a.O. S.12

  39. Ebenda

  40. Sammlung der Gesetze Hannover 1826 No.17 I.Abtheilung (17.) Verordnung das Paßwesen betreffend S.71-77

  41. Ebenda: (18.) Verordnung das Verfahren gegen Vagabonden und verdächtige Personen betreffend S.77-82

  42. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichtliche Perspektiven a.a.O. S.33

 

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