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Eine gescheiterte Verlegung der Herberge der Horneburger Schuhmachergesellen

von Dr. Hans-Georg Augustin

Herausgegeben: Dezember 1998
Quellen und kleine Beiträge Nr.: 6

 

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Ein erkrankter Geselle konnte, wie sich aus den Bestimmungen der Pflegekasse der Horneburger Schuhmachergesellen aus dem Jahre 1860 ergibt, die Pflege bei Verwandten oder Freunden einer Pflege in der Herberge vorziehen. Über eine Pflege im eigenen Hause durch Ehefrau oder Kinder findet sich keine Bestimmung. Eine Erklärung dafür liefert die Gewerbeordnung Hannover von 1847. Sie enthält Bestimmungen über Abschluß und Aufhebung des Dienstvertrages (Arbeitsvertrag), über Meister- und Gesellenpflichten und auch über die „Verhältnisse der Gesellen im Allgemeinen“. Zu diesen allgemeinen Bestimmungen gehört § 134, der folgendermaßen lautet:

„Gesellen dürfen nicht zur Verheirathung zugelassen werden.
Es kann jedoch von der Obrigkeit eine Ausnahme zugelassen werden, insbesondere für Gesellen der Bauhandwerke und solcher sonstigen Gewerbe, welche eine im Verhältniß zur Zahl der Meister große Zahl von Gesellen erfordern“1)

Anmerkung: Mit der Ausnahmebestimmung sollte wohl eine zu große Belastung der Meisterfrau vermieden werden, da die Gesellen in der Regel zum Haushalt des Meisters gehörten.

Nach Akten des Niedersächsischen Staatsarchivs Stade hat die Pflegekasse (= Krankenkasse) der Horneburger Schuhmachergesellen bereits vor Bestätigung ihrer Statuten im Jahre 1860 bestanden.2) Die Akten des Staatsarchivs schildern auch Begebenheiten, die sich bei einer seitens der Schuhmachergesellen gewünschten Verlegung der Herberge im Jahre 1854 zugetragen haben.3)

Am 21. Januar des genannten Jahres 1854 richtete der Altgeselle Herrmann an das Königliche Amt Horneburg, das es damals noch gab, einen Antrag mit der Bitte um Verlegung der Herberge. Sie befand sich im Hause des Gastwirtes Siems und sollte nach dem Wunsch des Gesellen Herrmann und seiner Kollegen in das Haus des Schuhmachermeisters Georg Ernst Matthias Witz verlegt werden. Herrmann begründete seinen Antrag mit Differenzen, die entstanden seien und auch damit, daß im Lokal Siems zu viele „Professionisten“ untergebracht seien.

Das Königliche Amt Horneburg lehnte den Antrag von Herrmann und den übrigen Schuhmachergesellen am 15. Februar ab und gab zur Begründung zwei Punkte an:

    • Erstens erklärte das Amt, der in Aussicht genommene Herbergswirt Witz habe keine Konzession zum Schank- und Logierwirt und eine Konzession könne ihm auch nicht erteilt werden.
    • Zweitens meinte das Amt, die isolierte Lage des Hauses Witz mache es als Herberge ungeeignet.

Gegen diesen ablehnenden Bescheid erhob Herrmann für sich und die Gesellenschaft am 27. Februar Beschwerde bei der Landdrostei Stade und machte u.a. geltend:

    • Es ist bereits zu einem Bruch mit Siems und einer daraus folgenden Kündigung gekommen.
    • Der Beschwerdeführer bittet, dem Schuhmachermeister Witz, eine Konzession zum Betreiben einer Schank- und Logierwirtschaft zu erteilen und diese Konzession auf die Herberge für die Schuhmachergesellen zu beschränken und das übrige Publikum auszusperren. Solche Regelungen, so Herrmann, würde es auch in Stade geben. Nach seinen Bekundungen wollten die Schuhmachergesellen unter sich sein, keine Gemeinschaft mit anderen haben. Bei Siems vermißt er Reinlichkeit und glaubt bei Verlegung der Herberge nicht an Ausschreitungen im neuen Domizil.
    • Ausdrücklich verweist Herrmann darauf, daß die Verlegung ein Wunsch sowohl aller Gesellen als auch der Zunft ist.
    • Bemühungen bei zwei anderen Gastwirtschaften, die Herberge unterzubringen, hatten keinen Erfolg.
    • Schließlich bemerkt Herrmann, daß ein Mitglied der Zunft aus eigener Erfahrung besonders als Herbergswirt geeignet sei, da er wisse, wessen man bedürfe. Herrmann bemerkt auch, daß eine Herberge im Hause eines Mitgliedes der Zunft für diese selbst auch einen Vorteil bedeute.

Der Schuhmachermeister Witz unterstützte die Beschwerde.

Nach Eingang der Beschwerde bei der Landdrostei Stade wünschte diese einen Bericht vom Amt Horneburg über zwei Fragen. Als erstes begehrte sie zu wissen, warum die Verlegung der Herberge abgelehnt wurde. Zweitens wurde im Bericht unter Hinweis auf Paragraph 131 der Gewerbeordnung eine Erläuterung der Bezeichnung: Altgeselle, so bezeichnete sich der Beschwerdeführer Herrmann, erbeten.

Paragraph 131 der damals geltenden Gewerbeordnung lautet:

„Die Gesellen dürfen keine Brüderschaft, Gesellenschaft, noch ähnliche Verbindung bilden.
Die s.g. G e s e l l e n l a d e n mit allen sich darauf beziehenden Einrichtungen bleiben verboten.“

Anmerkung : Es handelt sich um ein Koalitionsverbot für unselbständig Beschäftigte. Nach dem Scheitern der gemeinsamen Bemühungen von Meistern und Gesellen um eine korporative Handwerksordnung im Jahre 1848 gingen die Gesellen eigene Wege und schlossen sich der sozialistischen Arbeiterbewegung an. Diese Vereinigungen sollten in Deutschland durch Koalitionsverbote verhindert werden.4) Offenbar vermutete die Landdrostei nach Eingang der Beschwerde von Herrmann eine illegale Vereinigung der Horneburger Schuhmachergesellen.

Das Amt Horneburg erstattete am 15.3.1854 den angeforderten Bericht; er ist folgenden umfangreichen Inhaltes:

    • Zunächst erklärt das Amt, daß es auch nach Kenntnisnahme der Beschwerdegründe nicht von seiner Entscheidung, die Verlegung der Herberge zu untersagen, abgehen könne.
    • Das Amt spricht dem Schuhmachermeister Witz die Eignung als Herbergswirt ab. Er ist nach Darstellung des Amtes heftig und nicht frei von Streit- und Zanksucht. Witz, so das Amt weiter, besitze nicht nicht nötigen Ernst gegenüber dem nicht immer ruhigen Verhalten der Gesellen.
    • Im Hause Witz wird es nach Meinung des Amtes im Falle einer Verlegung der Herberge bald zu Zank und Streit mit allen sich daraus ergebenden Unbilden kommen, wo doch der Wunsch nach Ruhe, Ordnung und Frieden bestehe.
    • Der in Aussicht genommene Herbergswirt hat, nach Darstellung des Amtes, schon öfter auf verschiedene Weise – wenn auch vergebens – versucht, die Erlaubnis zu einer Schankwirtschaft zu bekommen. Die Erlaubnis zu einer Herberge, die mit einer Schankwirtschaft verbunden sein muß, scheine ihm ein geeignetes Mittel für eine Erlaubnis zu sein. Er wird nach seiner Persönlichkeit vom Amt weder als Herbergs- noch als Schankwirt für geeignet befunden.
    • Die isolierte Lage des Hauses Witz verbietet auch seine Nutzung als Herberge, es liegt vom Ort entfernt. Vom Amt wird daher die Befürchtung gehegt, daß es sehr bald neben der Schuhmacherherberge ein „Schlupfwinkel für vagabundierende Handwerksgenossen und anderes Gesindel“ werden würde, was bei dem herrschenden Mangel an „Polizeidienstschaft und Landgendarmen“ zu vermeiden sei.
    • Auch eine Beschränkung der Schankerlaubnis auf die Schuhmachergesellen wird wegen der Persönlichkeit des Witz abgelehnt.
    • Der Gemeindevorstand hat sich in jeder Beziehung gegen den Antrag auf Verlegung der Herberge ausgesprochen. Seine Bedenken werden vom Altmeister der Gilde geteilt.

Nach Anhörung des Altmeisters der Gilde berichtet das Amt, wie von der Landdrostei gefordert, auch über den „Altgesellen“ Herrmann folgendermaßen: Die Schuhmachergilde Horneburg unterhält eine Gesellenkrankenkasse. An ihr ist ein von Zeit zu Zeit neugewählter Geselle beteiligt, der monatlich von den übrigen Gesellen die fälligen Beiträge einzieht und an die Zunft abliefert. Vierteljährlich legt er die Rechnung für die Krankenverpflegung vor, erhält den Betrag aus der Krankenkasse, zahlt ihn aus und liefert die Quittungen an die Kasse ab.

„Das ist“, so schließt der Bericht, „das Geschäft des gewählten Gesellen, der als Altgeselle sich bezeichnet und auch benannt wird.“

Dieser Bericht des Horneburger Amtes ist für den Schuhmachermeister Witz negativ, für den Gesellen Herrmann positiv. Verstöße gegen § 131 der Gewerbeordnung werden ihm nicht vorgeworfen.

Die Landdrostei Stade entschied den Fall am 17.3.1854. Sie verkündete in ihrer Entscheidung dem Gesellen Herrmann, dem Meister Witz und den in Horneburg arbeitenden Schuhmachergesellen, daß die Einrichtung einer Herberge in einem bestimmten Hause der Genehmigung der Obrigkeit, unter deren Aufsicht die Einrichtung steht, unterliegt. Die Landdrostei kommt nach dieser Vorbemerkung zu dem Ergebnis, daß die Verlegung der Herberge in das Haus des Schuhmachermeisters Witz aus „hinlänglichen Gründen untersagt ist.“

Das Königliche Amt in Horneburg erhielt eine Abschrift des ablehnenden Bescheides. Seitens der Landdrostei wurde es darauf hingewiesen oder belehrt, daß auf nicht erlaubte Gesellenschaftsverbindungen hindeutende Bezeichnungen zu vermeiden seien und daß der bei einer Gesellenpflegekasse (Krankenkasse) mitwirkende Geselle nach der Gewerbeordnung als Pflegegeselle zu bezeichnen sei.

Das Amt hatte in seinem Bericht, wie bereits gesagt, die Bezeichnungen „Gesellenkrankenkasse“ und „Altgeselle“ verwendet.

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Quellen:

1) Gesetz=Sammlung für das Königreich Hannover Jahrgang 1847 No. 46 I. Abtheilung (48) Gewerbe=Ordnung

2) Niedersächsisches Staatsarchiv Stade Rep. 80 G Bd. I Tit. 46 Nr.6

3) Niedersächsisches Staatsarchiv Stade Rep. 80 G Bd. I Tit. 46 Nr. 5

4) Wernet, Wilhelm: Handwerkspolitik Göttingen 1952 S.96

 

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