„Johann Heinrich Bode“
Ein Handwerker aus Hamburg, der 1817 in Horneburg
heiraten und sich als Riemer niederlassen wollte.
von Dr. Hans-Georg Augustin
Herausgegeben 1998
Quellen und kleine Beiträge Nr.: 3
Einem Gesuch des Johann Heinrich Bode vom 24. November 1817 an die Provin-zialregierung in Stade ist folgendes zu entnehmen:i
Bode wurde am 5. April 1783 in Hamburg geboren und erlernte das Riemerhand-werk. Seine Eigenschaft als zünftiger Geselle wies er durch eine Kundschaft vom 7. Januar 1817 folgenden Inhaltes nach:
„Wir geschworene Ältesten und sämmtliche Meister des löblichen Amtes der Riemer und Zaumschläger in der freyen Hansestadt Hamburg, bescheinigen hiermit, daß gegenwärtiger Gesell, Namens Johann Heinrich Bode, gebürtig von Hamburg, so 34 Jahre alt, und von Statur Mittelmäßig auch von braunen Haaren ist, bey uns allhier Jahre und Wochen in Arbeit gestanden, und sich solche Zeit über treu, fleißig, stille, friedsam und ehrlich, wie einem jeglichen Handwerks=Gesellen gebühret, verhalten hat; welches wir also attestieren, und deshalb Unsere sämmtliche Mitmeister diesen Gesellen nach Handwerks=Gebrauch überall zu fördern, geziemend ersuchen wollen.“
Auf dieser Urkunde bescheinigten ein Hamburger und ein Harburger Ältermann, daß Bode sich um Arbeit bemühte, jedoch keine erhielt. Seine Wanderschaft gemäß den Statuten der Hamburger Innung führte Bode nach Horneburg. Er arbeitete bei Johann Christoph Dänke, der auf der oben genannten Kundschaft diese Arbeit mit folgender Eintragung bestätigt hat: „gegen Wärtiger Gesell hat bey mir 36 Wochen in Arbeit gestanden. Solches bescheinigt als beglaubigter Meister Horneburg, den 1. Octo. 1817 Johann Christoph Dänke.“
Bode lernte während seines Aufenthaltes in unserem Flecken Gesche Prigge, Tochter von Johann und Gesche Prigge, kennen. Dazu Bode wörtlich: „Wir gewannen uns bald lieb, versprachen uns, und jetzt wünsche ich mit ihr die Ehe zu vollziehen und nach vollzogener Ehe mich in Horneburg niederlassen zu dürfen, mich und die Meinigen von diesem Handwerk zu ernähren.“
Zur Eheschließung war sowohl in Hamburg als auch in Horneburg das Aufgebot nötig. Während das Aufgebot in Hamburg auf keine Schwierigkeiten stieß, sagte ihm der Horneburger Prediger, daß nach einer Verordnung vom 5.4.1817 die Obrigkeit der Eheschließung und der Niederlassung als Riemer zustimmen müsse. Vom Gericht Horneburg wurde Bode an die Stader Regierung verwiesen, bei der er mit Gesuch vom obigen Datum um Zustimmung zu beiden Wünschen bat. Zur Begrün-dung trug er in etwa folgendes vor:
- Das von ihm erlernte Handwerk ernähre eine Familie.
- Sein bisheriges Verhalten sei so gewesen, daß niemand Ungünstiges über ihn sagen könne.
- Seine Braut sei gebürtige Horneburgerin, fleißig, treu und gewähre ihrer alten Mutter redlich Beistand.
- Er sei weder reich noch arm, wobei Armut wohl auch keinen Grund zur Verweigerung einer Eheschließung bedeute.
- Der Vater seiner Braut sei gestorben, ihre Mutter, die Balgentreterin in der Kirche war, sei jetzt dienstunfähig und solle unterstützt werden.
- Abschließend bemerkte Bode, daß es in Horneburg kein Riemeramt gebe, die Zahl der Riemer nicht beschränkt sei und er sein Brot finden werde.
Anmerkung des Verfassers:
Das Riemerhandwerk gehörte wie die Sattler zu den lederverarbeitenden Handwerken. Die Sattler fertigten die Sättel, die Riemer das Zaumzeug, also Gurte und Riemen, an.ii
Nach diesem Vorbringen Bodes bei der Provinzialregierung schrieb diese an das Burggericht Horneburg. Sie erläuterte dem Gericht, daß es nicht die Absicht der Verordnung vom 5. April sei, die Vollziehung einer Ehe ohne Vorliegen besonders dringender Gründe zu erschweren. Die Regierung war auch der Meinung, daß Bode ein gutes Handwerk erlernt habe und daß über ihn auch keine Tatsachen bekannt seien, mit denen seine Familie nicht leben könne. Es könnten, so die Regierung, bei einer Eheschließung keine Schwierigkeiten gemacht werden, ohne die Gründe zu nennen. Was die Niederlassung als Riemer angehe, bemerkte die Regierung weiter, daß diese Handwerker in Horneburg kein Amt gebildet hätten und daher die Nieder-lassung als Riemer nicht versagt werden dürfe. Sollten gegen Bodes Ehe und Niederlassung wirklich noch unbekannte Gründe vorhanden sein, wünschte die Regierung einen ausführlichen Bericht des Burggerichtes.
Das Gericht berichtete ausführlich am 4. Dezember 1817. Es bemerkte zunächst, daß es eine Eheschließung von Bode keineswegs abgelehnt habe, wohl aber die Niederlassung als Riemer. Das Gericht glaubte, hierzu Veranlassung zu haben.
Nach Darstellung des Gerichtes hatten weder Bode noch seine Braut irgendwelche Mittel für eine Betriebsgründung (im Bericht „Etablissement“ genannt). Seitens des Gerichtes genau eingeholte Erkundigungen ergaben, daß die Mutter der Braut „nach Almosen“ umhergehe.
Sodann fragte das Gericht, was dem Staate wohl mit Untertanen gedient sei, die sich übereilt zur Ehe entschließen, sich zu Anfang allenfalls kümmerlich ernähren könnten und bei einer größeren Familie Not leiden müßten. Am Ende sind sie nach Auffassung des Gerichtes nicht in der Lage, „onera publica zu prästieren“, (Das heißt, daß sie keine öffentlichen Abgaben leisten können) und fallen gar dem Orte zur Last, weil sie die Familie ernähren müssen.
Nach weiteren Ausführungen des Gerichts fehlten im Orte zuweilen rüstige Tagelöhner. Wenn Bode ein solcher Mann wäre, meinte das Gericht, würden keine Bedenken gegen seine Niederlassung als Häusling bestehen. Als Handwerker, der für sein Fortkommen ein kleines Vermögen haben muß, war Bode dem Flecken nicht willkommen.
Der Stellungnahme des Gerichtes ist ferner zu entnehmen, daß es damals in Horne-burg einen Sattler und vier Riemer gab. Ein weiterer Riemer, ein seiner Entlassung entgegensehender Landwehrmann und Anerbe einer Bürgerstelle, sollte bald hinzu-kommen. Horneburg habe dann für den Fall, daß auch Bode sich niederlasse, so das Gericht, zukünftig 6 Riemer. Es bezweifelte, daß eine derartige Zahl von Riemern in Horneburg bei der Nähe von Buxtehude und Stade ihr Auskommen finden würde. Nach weiteren Darlegungen des Horneburger Gerichtes hatten die vorhandenen Riemer eigene Häuser und etwas Land und waren daher gegenüber Bode im Vorteil, der zur Miete wohnen müsse. Obwohl sie also Vermögen hatten, klagten die bereits niedergelassenen Riemer über „Mangel an Nahrung“ und hatten sich ausweislich des Hypothekenbuches verschulden müssen. Dabei galten sie sämtlich als fleißig und sparsame Haushälter.
Das Gericht gab offen zu, daß es aus diesen Gründen keine weiteren Riemer in Horneburg haben möchte; es fühlte sich vielmehr zum Schutz der vorhandenen verpflichtet. Diese Verpflichtung wurde deshalb empfunden, weil der Vermögens-verfall der bereits vorhandenen Riemer auf die vergangenen Kriegszeiten zurück-zuführen war. Das Gericht vertrat diese Auffassung, wie es ausdrücklich bemerkt, in dem Wissen, daß es in Horneburg kein Riemeramt und schon gar kein geschlossenes Amt gab.
Das berichtende Horneburger Gericht bezog sich dann auf einen Vorgang des Vorjahres, also aus dem Jahre 1816. Es hatte damals einen Antrag auf Festsetzung einer Häuslingskaution gestellt und von der Königlichen Regierungskommission am 13. Mai des genannten Jahres die Antwort erhalten, es sei der Beurteilung des Gerichtes überlassen, ob sich in Horneburg ein Häusling ernähren und daher aufzunehmen oder zurückzuweisen sei. Da nun der Beschwerdeführer Bode nach Meinung des Gerichtes als Riemer wenig Aussicht auf ein ehrliches Fortkommen habe, wurde es für völlig überflüssig gehalten, daß er diesen Versuch zum eigenen und eventuellen Nachteil des Fleckens unternehme.
Sollte, so schließt die Stellungnahme des Gerichtes ab, diese Auffassung seitens der Regierung nicht geteilt werden, so wolle es doch auf die Notwendigkeit hinweisen, von Bode eine Häuslingskaution von 6O Reichsthalern zu fordern und beantragte, da über ihn persönlich nichts Nachteiliges bekannt sei, wenigstens diese Festsetzung im erforderlichen Bescheid.
So geschah es am 11. Dezember 1817 durch die Provinzialregierung. Sie wies das Burggericht an, Bode darzulegen, daß er bei der Zahl der in Horneburg ansässigen Riemer, bei Fehlen eigenen Vermögens und des Fehlens einer Bürgerstelle seiner Braut als Riemer nicht existieren könne und bald dem Orte zur Last fallen würde. Es sollte Bode auch, wenn dieser auf seinen Vorstellungen beharre, darauf hinweisen, daß es angemessen sei, eine Häuslingskaution von 6O Reichsthalern zu verlangen, damit er und seine Familie dem Flecken nicht zur Last fallen. Das Gericht sollte die Niederlassung verweigern, wenn Bode die verlangte Kaution nicht zahlen wollte oder nicht zahlen konnte.
Anmerkung des Verfassers
Die Entscheidung der Provinzialregierung läßt erkennen, daß sie in diesem Falle bei Fehlen eines Riemeramtes eine Freiheit der Niederlassung anerkannte. Um das Bestehen dieser Freiheit wußte auch das Burggericht, strebte aber dennoch den Bestandsschutz der vorhandenen Betriebe an. Ob die zur Erreichung dieses Zieles angestellte Bedürfnisprüfung zutraf, vermag heute niemand zu sagen. Dafür spricht der Hinweis auf die schlechte Lage als Folge der Kriegszeiten (Napoleonische Kriege, Befreiungskriege) und die Bemerkung über die Nähe von Stade und Buxtehude.
Die Entscheidung der Provinzialregierung, Bode solle eine Kaution stellen, damit er im Falle seines Scheiterns nicht dem Flecken zur Last falle, hat wahrscheinlich seine Niederlassung verhindert, wenn die Behauptung des Gerichtes zutrifft, daß er mittellos sei. Bode selbst behauptete allerdings, weder arm noch reich zu sein. Bemerkenswert erscheint im übrigen, daß die Stader Regierung auf den vom Gericht Horneburg angestrebten Bestandsschutz nicht eingegangen ist. Ein solcher Bestandsschutz geriet in damaligen Zeiten zunehmend in die bereits aufgekommene Diskussion über das Für und Wider der Gewerbefreiheit.
Leider sind keine Unterlagen zugänglich, aus denen ersichtlich ist, ob Bode gegen Kaution die Selbständigkeit im Flecken Horneburg erlangt hat.
Der Vorgang gewährt einen kleinen Einblick in das tägliche Leben in Horneburg und offenbart gleichzeitig den Wandel von damals bis heute. Gemeint ist das Eingreifen des damaligen Staates in die privaten Entschlüsse, eine Ehe einzugehen oder sich im Handwerk selbständig zu machen und eine Bedürfnisprüfung anzustellen. Solche Praktiken sind in der heutigen Marktwirtschaft grundsätzlich nicht denkbar. Sie beruht auf der sicherlich richtigen Annahme, der Staat maße sich mit solchen Bedürfnis-prüfungen ein nicht vorhandenes Wissen an. Wer heute die Voraussetzungen zur Ausübung eines Handwerks erfüllt, in der Regel die Meisterprüfung, muß in die Handwerksrolle eingetragen werden. Eine Prüfung der Höhe seines Vermögens und eine Bedürfnisprüfung wie bei Bode findet nicht statt. Freilich geht eine Existenz-gründung nicht ohne eigene Mittel, wie das Burggericht richtig bemerkt. Ob ein Handwerksbetrieb existieren kann oder schließen muß, entscheiden der Markt und das unternehmerische Können des handwerklichen Unternehmers. Der Wettbewerb belohnt den Tüchtigen und gibt niemandem Schutz. Im Falle Bode wollten Burggericht und Provinzialregierung das Risiko des Scheiterns nicht tragen. Sie befürchteten, eines Tages aus einer öffentlichen Kasse Unterhalt zahlen zu müssen und hatten die Macht, das zu verhindern.
Beurteilungen von Existenzgründungen, beabsichtigten Investitionen und Erwar-tungen werden heute durch die öffentliche Hand nur vorgenommen, wenn ein Existenzgründer oder Investor eine Förderung aus öffentlichen Mitteln erbittet. Dann muß er auch darlegen, welche Eigenmittel er hat, denn eine Förderung mit öffent-lichen Mitteln soll nur „Hilfe zur Selbsthilfe“ sein.
Über das weitere Schicksal des Riemers Bode und seiner Braut ist nichts bekannt. Von der Regierung in Stade erhielt er seine Unterlagen zurück. In den Kirchen-büchern von Horneburg ist keine Eheschließung verzeichnet.
ii) Reith, Reinhold: Lexikon des alten Handwerks Vom späten Mittelalter bis ins 2O Jahrhundert München 199O S.188
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