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Konkurse im Horneburger Handwerk des 19. Jahrhunderts

 

von Dr. Hans-Georg Augustin

Herausgegeben: 1998
Quellen und kleine Beiträge Nr.: 12

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Im Streit zwischen dem Horneburger Tischleramt und dem Zimmermeister Hahn wegen der Abgrenzung der Berufsbilder der beiden Berufe meinte das Horneburger Gericht gegenüber der Landdrostei Stade, dem Zimmermeister Hahn gehe es offensichtlich gut und verwies dabei auf sein für jedermann sichtbares Materiallager, auf die große Zahl seiner Gesellen und darauf, daß Hahn selbst zur Winterszeit noch 4-5 Gesellen beschäftigen konnte.1)

Es mag sein, daß die Meinung des Gerichtes – gebildet nach dem Augenschein – im Jahre 1835 zutraf. Am Ende des Jahres 1836 hatte sich die Lage jedenfalls gravierend geändert. In einer Bekanntmachung vom 16. November dieses Jahres erklärte nämlich das Gericht, der Zimmermann Hahn habe dort angezeigt, „daß er sich außer Stande befinde, seine andringenden Gläubiger auf einmal zu befriedigen, daß er aber ansehnliche Vorschläge thun könne, weßwegen er um Verabladung seiner Gläubiger bitten wolle.“2)

Das Gericht lud daraufhin „Alle und Jede“, die Ansprüche gegen Hahn persönlich oder an seine beiden Horneburger „Bürgerwesen erhoben, ein, diese am 17. Dezember 1836 um 10 Uhr morgens in der „Gerichtsstube“ geltend zu machen. Die zu diesem Termin nicht erscheinenden Gläubiger wurden belehrt (in der Gerichtssprache: „verwarnt“), daß sie sich einem von der Mehrheit der erschienenen Gläubiger beschlossenen Zahlungsplan (Zahlungs=Regulativ) zu unterwerfen hätten. Für den Fall des Anschlußkonkurses (in der Gerichtssprache: „wenn aber auf Conkurs erkannt werden muß“) wurden die nicht erschienenen Gläubiger von der Vermögensmasse ausgeschlossen. Hahn selbst wurde jegliche Disposition über sein Vermögen untersagt. Schließlich wurde seinen Debitoren (Schuldnern) angedroht, daß sie als Strafe doppelte Zahlung leisten müßten, wenn sie an ihn oder auf seine Anweisung an andere zahlten.3)

Das Protokoll dieser Gläubigerversammlung ist erhalten und befindet sich im Archiv der Samtgemeinde Horneburg unter dort verwahrten Schriftstücken des Advokaten Hornbostel.4) Insgesamt sind 45 Positionen aufgeführt, aus denen sich Verbindlichkeiten des Zimmermeisters Hahn in Höhe von 3.200 Thalern ergeben. Es befinden sich darunter zum Beispiel Darlehnsforderungen der Gläubiger, Verbindlichkeiten aus Holzlieferungen, aus nicht gezahlten Löhnen und aus nicht erfüllten Verträgen. Geltend gemacht wurden seitens der Gläubiger auch eine Verzinsung der Verbindlichkeiten und Verfahrenskosten. Am Schlusse der Versammlung, an der Hahn einer Erkrankung wegen nicht teilnehmen konnte, wurde der Vergleichsvorschlag des Schuldners verlesen und der Einnehmer Bunnenberg erklärte namens des Obersten von Düring die Kündigung eines Darlehns. Das Darlehn belief sich auf „1.000 Thaler in Golde“. Für den Fall des Konkurses wurde der Gerichtsschreiber Wittpenning zum Konkursverwalter (im Protokoll: curator bonorum) nominiert, „welcher das Officium acceptierte.“

Offenbar wurde dem Vergleichsvorschlag keine Chancen eingeräumt. Bereits für den 1.3.1837 ordnete das Gericht nämlich an, daß beide zur Konkursmasse gehörenden „Bürgerstellen“ von Hahn und eine Wiese auf das „Meistgebot gebracht werden sollten“ (=Zwangsversteigerung“), wiederum auf der Gerichtsstube. Bei der ersten Stelle handelte es sich um ein Grundstück im „sogenannten Sande“ mit einem hinreichend großen Platz für das Zimmererhandwerk vor dem Wohnhaus; dieses Wohnhaus hatte drei Stuben. Zum Grundstück gehörten ferner „ein guter und ein schlechter Moortheil, auch ein Garten hinter dem Hause.“ Bei der zweiten Bürgerstelle handelte es sich um ein Wohnhaus auf der „langen Straße“ mit vier Stuben und einem Garten. Zu dieser zweiten Stelle gehörten ebenfalls“ ein guter und ein schlechter Moortheil, auch ein Haidetheil.“ Nach Gerichtsbeschreibung war das Haus vor nicht langer Zeit repariert und für eine Familie geeignet, „die anständig und bequem wohnen will.“ Vom Gericht wurde auch bemerkt, daß sich das Haus „zu jedem bürgerlichen Geschäftsbetriebe“ eigne. Beide Immobilien unterlagen, worauf das Gericht aufmerksam machte, dem „Meier Nexu“5); die Wiese war „frei“.

Anmerkungen: Ein „Meier“ ist der Nutznießer eines Grundstückes, das im Obereigentum eines Gutsherren steht. Der Meier hatte gegenüber diesem Gutsherren Verpflichtungen, meistens Abgaben in Naturalien oder Geld oder Dienstleistungen. Ein Verkauf solcher Immobilien war an die Zustimmung des Obereigentümers gebunden. Das Bestehen solcher hier nur kurz geschilderten Bindungen bei den Grundstücken von Hahn wird mit der Bezeichnung „Meier Nexu“ ( nexus ist ein Wort aus dem Lateinischen und bedeutet: Verbindlichkeit) seitens des Gerichtes mitgeteilt. Vom Gericht nicht gesagt, welche einzelnen Verpflichtungen mit den Grundstücken von Hahn verknüpft waren. Über das Meierrecht, wie es z.B. in Bliedersdorf bestand, gibt die Chronik von Christian Fuhst und Gerhard Burfeind Auskunft.6)

Ein Meier hatte also eine andere Art von Eigentum, als wir es aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch des Jahres 1900 kennen. Der „Meier Nexu“, der bei den Grundstücken Hahn bestand, war in Horneburg auch keineswegs eine Ausnahme oder Besonderheit. H.D.A. Sonne schreibt im Jahre 183O über den Flecken Horneburg: “ Die Einwohner sind größtentheils Meier des Adels;…..“.7) Die Verpflichtungen nach dem Meierrecht konnten nach einer Verordnung aus dem Jahre 1831 abgelöst werden.8) Die Intelligenzblätter nach diesem Jahre enthalten wiederholt Bekanntmachungen über die in Horneburg erfolgten Ablösungen. Fuhst und Burfeind geben in ihrer Bliedersdorfer Chronik ein Beispiel für einen Ablösungsvertrag.9)

Die Bekanntmachung des Gerichtes über den Verkauf der Immobilien wurde im Intelligenzblatt mehrfach wiederholt.10)

Die Verwertung des Vermögens von Hahn umfaßte nicht nur sein Grund- und Betriebsvermögen sondern auch seine persönliche Habe. Zum meistbietenden Verkauf dieser Vermögen setzte das Gericht für den 3. Juni 1837 einen Termin an und zwar morgens für das Hausgerät, wozu auch Betten gehörten, und nachmittags für Handwerkszeuge. Als Handwerkszeug wurden vom Gericht eine große Ramme mit Zubehör, ein großer und kleiner Holzwagen, eine Winde (sogenannte Daumenkraft), ein Kran, Schrauben und Ketten genannt.11)

Das Konkursverfahren Hahn dauerte Jahre. Der Distributionsbescheid (Verteilung der Masse) wurde vom Horneburger Gericht am 2. September 1842 bekannt gemacht.12)

Aus den Verlautbarungen des Horneburger Gerichtes sind keine Gründe zu ersehen, warum der Zimmermeister Hahn in Konkurs geriet und warum er mit seinem Zahlungsplan scheiterte. Somit bleibt offen, ob das Verfahren private oder geschäftliche Ursachen hatte. Der Fall lehrt jedoch – das gilt oftmals auch für die Gegenwart – , wie fraglich es ist, nach einem äußeren Anschein über die wirtschaftliche Situation eines Betriebes oder seines Inhabers zu urteilen, wie es das Gericht ein Jahr vor dem Konkursfall tat. Damals glaubte es, dem Zimmermann Hahn sei ein Verzicht auf Tischlerarbeiten zuzumuten. Diese Tischlerarbeiten können allerdings auch den Versuch Hahns bedeutet haben, mit ihrer Hilfe eine Unrentabilität der Zimmerei aufzufangen. Die Tischlerarbeiten könnten aber auch andererseits die Ursache des Konkurses gewesen sein, wenn sie zu Verlusten geführt haben, die entweder einen Gewinn der Zimmerei aufzehrten oder ihren Verlust noch vergrößerten.

Aus den Bekanntmachungen des Horneburger Gerichtes in den Intelligenzblättern, später Stader Anzeigen, sind weitere Konkursverfahren, Zwangsvollstreckungen und Überschuldungen Horneburger Handwerker des vorigen Jahrhunderts zu ersehen. Nicht alle derartigen Fälle können dargestellt werde, da meistens nur ihr formaler Ablauf bekannt gemacht wird; deshalb nur einige Bemerkungen.

Die Verlautbarungen des Gerichtes betreffen u.a. Töpfer, Brauer, Lohgerber, Hutmacher, Nagelschmiede, Müller, Tischler, Drechsler, Rademacher, Sattler, Riemer, Bäcker, Brenner, Schuhmacher, Schlosser, Buchbinder, Küper, Färber, Klempner, Tischler, Schlachter, Seiler und Schmiede. Überwiegend ist jeweils nur ein Handwerker dieser Berufe betroffen.

Zu den mehrfach betroffenen Handwerken zählen die Nagelschmiede, ein Handwerk, das der industriellen Revolution zum Opfer gefallen ist. Im Jahre 1831 kam die Nagelherstellmaschine aus Nordamerika nach Europa. Sie wurde von Engländern und Franzosen vervollkommnet,“so daß der einst relativ teure Nagel immer billiger wurde, bis man dem einzelnen Stück kaum mehr nachsah, wenn es absprang oder krumm wurde. Allerdings konnte sich der maschinengefertigte Nagel mit dem geschmiedeten nicht vergleichen.“13)

Es mag auch interessant sein, was Grundstückspreise anbelangt. Im Falle des Konkurses des Sattlers Johann Heinrich Heitmann wurden für ein Grundstück auf der „langen Straße“ nach Mitteilung des Horneburger Gerichtes nur 200 Thaler geboten, es wurde daher ein neuer Versteigerungstermin angesetzt. Schon vorher hatte ein Käufer das Kaufgeld, zu dem er das Grundstück ersteigert hatte, nicht völlig bezahlen können. Auch dieses Grundstück unterlag dem „Meier Nexu“ und sollte unbeschadet dieses Rechtes („salvo nexu villicati“) versteigert werden.


Quellen:

  1. Niedersächsisches Staatsarciv Stade: Rep. 80G Bd.I Tit.72 No.3

  2. Intelligenz=Blatt für die Herzogthümer Bremen und Verden, Stade, gedruckt bei Witwe Pockwitz und Sohn Jg. 1836 S.775 Künftig zitiert als: Intelligenzblatt a.a.O.

  3. Ebenda

  4. Archiv der Samtgemeinde Horneburg: H. 4.1.1. Für dieÜberlassung einer Kopie ist der Verf. Herrn Allenberg, Samtgemeinde Horneburg, zu Dank verpflichtet

  5. Intelligenzblatt 1837 a.a.O. S.73

  6. Fuhst, Christian u. Burfeind Gerhard: Bliedersdorf wie es wurde und wie es ist Bliedersdorf 1988 S.53

  7. Sonne, H.D.A. Beschreibung des Königreichs Hannover Viertes Buch. Spezielle Chorographie München 183O S.288

  8. Gesetz=Sammlung für das Königreich Hannover Jahrgang 1831 I. Abtheilung No.43:(55.) Verordnung über die Ablösung der grund= und gutsherrlichen Lasten, und Regulierung der bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grundsätze vom 10. November 1831 S. 46 ff.

  9. Fuhst, Christian u. Burfeind, Gerhard: Bliedersdorf wie es wurde und wie es ist a.a.O. S.197-199

  10. Intelligenzblatt 1837 S. 80, 98, 155, 175, 260, 273

  11. Intelligenzblatt 1837 a.a.O. S.360

  12. Intelligenzblatt 1842 a.a.O. S.573

  13. Wernet, Karl Friedrich: Handwerksgeschichtliche Perspektiven Forschungsberichte aus dem Handwerk Bd.10 Münster Westfalen 1963 S.147

 

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